Der Sommer ist quasi die Hochsaison des Neids. Die Urlaubsfotos der Arbeitskollegen auf Instagram, die makellosen Zeugnisse der Nachbarskinder, Lehrer und Schüler, die acht Wochen Ferien haben, die Leute mit der Bikinifigur, die sich Eis essend am See rekeln – da könnte man schnell neidisch werden. Aber warum empfindet der Mensch Neid?
Raphael Bonelli: Neid ist tief in uns drin. Er ist ja eine der sieben Todsünden, das haben also schon die Wüstenväter vor 2000 Jahren beschrieben. Neid ist etwas sehr Menschliches und Typisches, aber verschärft wird er heutzutage durch zwei Phänomene.

Die wären?
Durch den Narzissmus und Perfektionismus. Perfektionisten müssen dabeibleiben. Sie fragen sich: Was denken die anderen? Bin ich gut genug? Das alles passt genau zur Bikinifigur. Anorexie, Botoxspritzen und die ideale Figur sind die typischen Anzeichen des Perfektionismus. Narzissmus und Perfektionismus, diese zwei psychiatrischen Phänomene, sind ganz intensiv neidbesetzt und beide sind unfähig zu einer neidlosen Bewunderung.

Was verstehen Sie unter neidloser Bewunderung?
Für mich ist die neidlose Bewunderung ein Ideal der Psyche. Der Gesunde kann im Publikum sitzen und sich bewundernd anschauen, wie gut jemand auf der Bühne singt. Er kann das neidlos. Der Narzisst sitzt drin und sagt: Ich könnte das viel besser. Und der Perfektionist sitzt drin und leidet darunter, dass er es nicht so gut kann. Zusammengefasst stellt der neidvolle Mensch einen Ich-Bezug her, der im Moment nicht da ist.

Es gibt ja das Sprichwort „krank vor Neid sein“. Was sagen Sie dazu?
Neid ist ja eine Todsünde, wo man die Strafe sofort bekommt. Der deutsche Psychologe Heiko Ernst hat das einmal sehr lustig formuliert. Er sagt, dass man bei allen anderen Todsünden wie der Wollust oder der Fresssucht zumindest am Anfang ein bisschen Spaß hat. Beim Neid nicht. Auch den Asterix zeichnet man grün vor Neid. Diese Krankheit besteht darin, dass man richtiggehend zwanghaft fixiert auf des Nachbars Garten oder die Figur des anderen ist. Man kriegt diese Gedanken nicht mehr aus dem Kopf. In der Psychiatrie reden wir von Zwangsgedanken. Warum kann ich nicht so schöne Brüste oder Muskeln haben? Beide Geschlechter sind gleichermaßen vertreten.


Ist Neid eine österreichische Eigenart?
Ich würde sagen, dass wir besonders neidvoll sind. Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, dass wir ein so kleines Volk sind und einmal groß waren – ob es irgendetwas Geschichtliches ist. Oder weil wir eine komische Mischung aus allen möglichen Völkern sind. In Amerika ist man stolz auf erfolgreiche Menschen, in Österreich darf man nicht unbedingt erfolgreich sein, da muss man einmal nörgeln. Viktor Frankl zum Beispiel musste im Ausland erfolgreich werden, damit er in Österreich wahrgenommen wurde.

Wie kann man den Neid am besten bekämpfen?
Indem man beginnt, jemanden neidlos zu bewundern. Solche Menschen sind sehr, sehr frei. Neid ist eine Versuchung und man kann dieser Versuchung erliegen, indem man sozusagen den anderen schlecht macht und negativ konnotiert. Oder man kann Nein zu der Versuchung sagen, um sich zu einer Bewunderung aufzuraffen. Im Grunde ist ja Neid auch eine Form von Bewunderung, nur ist sie halt negativ gefärbt. Neidlose Bewunderung hängt aber mit einem starken Ich zusammen, weil wenn ich es aushalte, dass ich einen Kollegen bewundere, muss ich aushalten, dass ich das nicht so gut kann. Das fordert schon einiges an innerer Stabilität. Ich würde es „in sich selbst ruhen“ nennen.