Eigentlich hielt es unsere Leserin für einen Scherz, als sie im Dezember 2016 den Anruf von einem Mann bekam, der sich als Historiker vorstellte und ihr erklärte, eine entfernte Verwandte sei ohne Testament gestorben und sie sei eine der Erbberechtigten. Der Mann teilte unserer Leserin mit, dass man neben der erfolgten Erbenermittlung auch einen Stammbaum, der zur Dokumentation des Verwandtschaftsverhältnisses nötig sei, für sie anfertigen könne. Unsere Leserin bekam eine Honorarvereinbarung samt einer Vollmacht zur Unterfertigung zugeschickt, die die Historikerkanzlei dazu berechtigt, die zur Erbbeweisführung benötigten Personenstandsurkunden einzuholen. Die Honorarforderung belief sich auf 35 Prozent des Vermögenswertes – sollte es wirklich zu einem Erbe kommen.

Die gesetzliche Erbfolge tritt in Kraft, wenn es kein Testament gibt. Dadurch erben Blutsverwandte in vier Linien. Solange es Verwandte in einer Linie gibt, erben nur diese
Die gesetzliche Erbfolge tritt in Kraft, wenn es kein Testament gibt. Dadurch erben Blutsverwandte in vier Linien. Solange es Verwandte in einer Linie gibt, erben nur diese © Notariat Dr. Pisk & Dr. Wenger

Tatsächlich handelte es sich bei der Angelegenheit weder um einen Scherz noch um einen Betrug: Unsere Leserin, damals schon über 70 Jahre alt, erfuhr auf diese Weise, dass ihre betagte Firmpatin – „wir sind über fünf Ecken verwandt“ – 2015 mit einem stattlichen Vermögen, aber ohne letztwillige Verfügung verstorben war. „Wir hatten seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr“, erzählt die Frau.

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Beim darauf folgenden Termin mit dem für das Nachlassverfahren zuständigen Notar stellte sie fest: „Es gibt insgesamt 23 Verwandte, teilweise auch in Tschechien – mit Erbansprüchen von einem Achtel bis einem Sechshundertstel des Vermögens. Alle haben eingewilligt, dass die vorhandenen Immobilien verkauft werden sollen, um das Geld dann aufzuteilen“, erzählt die Frau. Ein Gutachter ermittelte daraufhin den Schätzwert besagter Anwesen, ein Verlassenschaftskurator erhielt den Auftrag, alles zum bestmöglichen Preis (mindestens Schätzwert) zu veräußern – „und dann hörten wir ein Jahr lang nichts mehr von der Sache“, erzählt die Frau und ergänzt: „Als wir schließlich beim Notar nachfragten, hieß es immer, der Verkauf der Liegenschaften ziehe sich hin.“

"Darf so etwas wirklich drei Jahre dauern?"

Es dauerte schließlich bis Ende 2018, bis der letzte Verkaufsabschluss bevorstand. Jetzt fragt sich unsere Leserin: „Darf so etwas wirklich drei Jahre dauern, und ist die Vorgangsweise hier überhaupt korrekt?“
Auf Nachfrage beim Vizepräsidenten der steirischen Notariatskammer, Walter Pisk, lautet die Antwort prinzipiell „Ja“: Die Dauer für die Abwicklung eines derart komplexen Nachlassverfahrens liege im Normbereich. Und dass Erbenforscher auf eigene Rechnung aktiv werden, sei zumindest kein Einzelfall. „Mitunter kommt es vor, dass die von einer Historikerkanzlei gefundenen Erben dieser vorerst noch keinen Auftrag erteilen, sondern von sich aus das zuständige Gericht kontaktieren und auf diese Weise erfahren, wer der zuständige Notar ist“, sagt Pisk. Sobald die Erben dem Notar „aktenkundig“ seien und dadurch ohnedies dem weiteren Verfahren beigezogen werden, sei die Beauftragung einer Historikerkanzlei zumeist nicht mehr notwendig.