Unser Leser hatte heuer leider einen Unfall mit seinem Fahrrad: Als er an einer Kreuzung rechts abbog, wurde er von einem nachfolgenden Pkw erfasst und zu Boden geschleudert. Er erlitt dabei zum Glück nur leichte Verletzungen, sein Fahrrad wurde aber schwer beschädigt. „Da ich an dem Unfall schuldlos war, ging ich davon aus, dass mir der Schaden ersetzt wird“, erzählt der Mann. Umso größer war der Schock, als ihm von der Kfz-Versicherung mitgeteilt wurde, dem Polizeiakt sei zu entnehmen, dass sich der Autolenker ohne Erlaubnis der Kfz-Besitzerin das Auto genommen habe, somit eine „echte Schwarzfahrt“ vorliege und deshalb alle Schadenersatzansprüche abzulehnen seien. „Kann das sein?“, fragt sich unser Leser verzweifelt.
Wir haben den Kärntner Versicherungsexperten Reinhard Jesenitschnig um eine Beurteilung des Falles gebeten. Er sagt: „Ob der Haftpflichtversicherer des Kfz bei einer Schwarzfahrt für die Schäden einzutreten hat, hängt davon ab, ob diese Schwarzfahrt vom Halter des Fahrzeuges schuldhaft ermöglicht wurde oder nicht.“ Dazu muss man wissen: Lenker, die sich von ihrem Fahrzeug entfernen, sind gemäß Kraftfahrgesetz dazu verpflichtet, durch geeignete Vorsichtsmaßnahmen (wie Absperren und sicheres Verwahren des Schlüssels) dafür zu sorgen, dass sich kein Unbefugter des Fahrzeugs bedienen kann. Wird ein Fahrzeug von einem Unberechtigten trotz dieser Maßnahmen in Betrieb genommen - etwa durch Einbruch oder Diebstahl -, liegt eine sogenannte echte Schwarzfahrt vor, bei der der Halter und seine Kfz-Haftpflichtversicherung nicht für Schäden aufkommen müssen. „Hier haftet nur der Lenker selbst und eventuelle Insassen, die dieser Lenker auf seiner Spritzfahrt mitnimmt“, betont Jesenitschnig und ergänzt: „Meist sind solche Menschen aber eher mittellos, sodass Geschädigte für die erlittenen Schäden von diesen Personen keinen finanziellen Ausgleich erhalten können.“ Der Gesetzgeber habe für diese Fälle durch das Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz vorgesorgt: „Demnach können sich derart Geschädigte an den Fachverband der Versicherungsunternehmen Österreichs wenden, welcher den Schaden auszutragen hat, als ob er der Haftpflichtversicherer des Kfz wäre.“
Unechte Schwarzfahrten
Ganz anders gelagert ist der Fall, wenn der Fahrzeughalter die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht, weil er etwa die Autoschlüssel nicht sicher verwahrt. Dann liegt, wie Jesenitschnig erklärt, eine ermöglichte oder „unechte Schwarzfahrt“ vor. In diesen Fällen würden der Halter und seine Kfz-Haftpflichtversicherung für Schäden, die der Unberechtigte mit dem Fahrzeug verursacht, haften. Bei unserem konkreten Fall geht es also um die Frage: Wie kam der Unfalllenker zu den Autoschlüsseln?
Tatsache ist: Er wohnt im selben Haushalt wie die Fahrzeugbesitzerin. Was die Frage aufwirft: Ist man auch im Familienverband, etwa unter Eheleuten oder gegenüber Kindern, verpflichtet, Autoschlüssel wegzusperren? Jesenitschnig stellt klar: „In diesen Fällen müssen Schlüssel nur dann besonders gesichert verwahrt werden, wenn schon Situationen aufgetreten sind, die auf eine unberechtigte Fahrt dieser Personen hinweisen. Das ist der Fall, wenn zum Beispiel Kinder schon einmal den Schlüssel an sich genommen haben, um eine Runde mit dem Fahrzeug der Eltern zu fahren, sei es auch nur im eigenen Hof.“
Warum ein Anwalt nötig ist
Welche Verschuldenssituation nun im konkreten Fall vorliegt, ob nun also die Haftpflichtversicherung oder der Versicherungsverband für den Schaden eintreten muss, könne wohl nur mit anwaltlicher Hilfe geklärt werden, sagt Jesenitschnig. Unserem Leser entstünden dadurch keine weiteren Kosten. „Diese werden nämlich dem Unfallgegner bzw. dem Fachverband der Versicherungen in Rechnung gestellt.“
Unser Leser ließ uns mittlerweile dankbar wissen: „Der Versicherungsverband bezahlte 1500 Euro.“