In dieser kleinen Gemeinde hat ein großer Kampf gegen Plastik begonnen und gerade im Kleinen zeigt sich, wie schwierig der zu führen ist. Auf den ersten Blick sieht es friedlich aus im niederösterreichischen St. Valentin: Ein paar Kinder spazieren lachend an der Schule vorbei, im Gastgarten der Pizzeria trinkt ein älterer Herr sein Bier. Aber im Gemeindeamt herrscht Hektik: Mitarbeiterinnen huschen durch die Gänge, stapeln Papiersackerln mit der Aufschrift "Ich liebe plastikfrei" nahe des Büros der Bürgermeisterin.
Dort sitzt Kerstin Suchan-Mayr hinter ihrem Schreibtisch. Die Ortschefin von der SPÖ lächelt konzentriert: "Wir wussten natürlich von Anfang an, dass wir alleine die Welt nicht retten können. Aber mit einem kleinen Tropfen kann man eine Welle auslösen", sagt sie. Der Tropfen fällt bei einer Gemeinderatssitzung im September 2018: St. Valentin soll plastikfrei werden. Der Beschluss ist einstimmig. Zum ersten Mal hat ein österreichischer Gemeinderat dem Kunststoff per Resolution den Kampf angesagt.
Das große Ziel: In zwei Jahren soll der Plastikmüll in St. Valentin von etwa 260 Tonnen pro Jahr auf die Hälfte reduziert werden (wie weit man damit ist, kann die Bürgermeisterin nicht sagen, aktuelle Zahlen würden ihr noch nicht vorliegen).
Seit dem Beschluss hat es der 10.000-Einwohner-Ort im westlichsten Winkel Niederösterreichs landesweit in die Medien geschafft und Suchan-Mayr hat an diesem Tag Besuch aus ganz Österreich: Aus Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg und Tirol sind mehr als 20 Vertreter anderer Gemeinden nach St. Valentin gereist. Sie möchten sich vernetzen, zeigen, was im Kleinen für den Klimaschutz getan werden kann und vor allem möchten sie wissen, wie es in St. Valentin nach dem Plastikfrei-Beschluss weitergegangen ist.
Es kommt darauf an, wen man fragt. "Plastikfrei schön und gut. Ich frag mich aber, wo die alle einkaufen gehen. Bei mir jedenfalls nicht", sagt Radomir Kovacic. Der wohl größte Plastik-Gegner St. Valentins sitzt in seinem "Tante-Hanna-Laden" umgeben von einem Sortiment aus Obst und Gemüse aus der Region, Bio-Buchweizenspiralen, Toilettenpapier aus Bambus und veganer Zahnseide. "Make love not War" steht auf seinem T-Shirt, auf das er sich auch noch einen gelben Smiley-Button geheftet hat.
Kovacics Laden ist verpackungsfrei, die Kunden müssen ihre eigenen Gläser mitbringen, wenn sie Beerenmüsli oder Haferkleie mitnehmen wollen. "Wenn ich nur von Kundschaft aus St. Valentin abhängig wär, dann hätt' ich schon zugesperrt", sagt der 40-Jährige.
Ein junges Paar kommt in den Laden, er mit Sonnennhut, sie im Blumenkleid. Sie stammen aus dem benachbarten Ernsthofen, erzählen Kathrin und Christian: "Wir haben gar nicht mitbekommen, dass St. Valentin plastikfrei werden will." Doch im "Tante-Hanna-Laden" kaufen sie regelmäßig: "Das Konzept ist stimmig. Plastikfrei ist cool." Kovacic baut auf Stammkunden aus der Gegend und nicht auf Aktionen der Gemeinde: "In St. Valentin krieg ich wenig mit, dass da etwas getan wird. Die Valentiner sind konservativer, als ich mir das gedacht hab. Aber zumindest die Bürgermeisterin kommt regelmäßig ins Geschäft. Man merkt, dass ihr die Sache am Herzen liegt."Ein paar Kilometer weiter steht die Ortschefin nun vor dem Gipfel der Gemeindevertreter. Im Versammlungsraum des Gemeindeamts erzählt Suchan-Mayr, wie die Plastikfreiheit in St. Valentin begonnen hat: Der Umstieg von gelber Tonne auf gelben Sack: "Es wurde viel diskutiert, wie viele von diesen gelben Säcken dann herumliegen werden und dass wir die vielleicht auf eigenen Plätzen abladen werden müssen. Ich hab gesagt: Nein, wir müssen den Müll reduzieren."
Suchan-Mayr erzählt von Schulfesten mit Mehrwegbechern, von unverpackten Gurken im Supermarkt, von 20.000 Papiersackerln, die an Geschäfte in der Gemeinde verteilt wurden. Heuer soll zudem eine Auszeichnung an den umweltbewusstesten Betrieb des Jahres vergeben werden. Doch die Bürgermeisterin berichtet auch über Rückschläge, in denen Kovacics Kritik widerhallt: "Der Beschluss im Gemeinderat war einstimmig, doch der plastikfreie Weg wird oft nicht so intensiv mitgetragen, wie ich es mir wünschen würde."
Berichte vom Sackamt
Die anderen Gemeindevertreter im Saal erzählen Geschichten, die Hoffnung machen. Da ist Stefan Weinberger aus Ottensheim in Oberösterreich. Der große Mann mit dem buschigen Bart berichtet vom Sackamt in seinem Ort: Am Wochenmarkt können Stoffsackerln abgegeben werden, die wäscht die Gemeinde und verteilt sie dann wieder an die Marktbesucher.Begeistert beklatscht wird der Vortrag der Mödlinger Stadträtin Franziska Olischer (ÖVP). Seit zehn Jahren versucht sie, ihre Gemeinde vom Plastikmüll zu befreien: Beim Mödlinger Fasching muss verpflichtend aus Mehrwegbechern getrunken werden, Lokale überzeugte Olischer, Essensreste in Mehrwegboxen zu verpacken: "Anfangs sind wir belächelt worden. Aber das Geheimrezept ist Hartnäckigkeit." Horst Wessiak spricht von einem Schneeballeffekt: "Wenn du in deinem Ort eine Maßnahme setzt, machen die umliegenden Gemeinden mit der Zeit auch mit", sagt der Vizebürgermeister der Tiroler Gemeinde Volders.
In der Steiermark ist etwa Knittelfeld vorangeprescht. Dort gab es im Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss, dass Schritte in Richtung einer plastikfreien Gemeinde gesetzt werden sollen.
In St. Valentin wird in kleinen Gruppen noch lange diskutiert: Wie macht ihr das mit dem Geschirr auf den Christkindlmärkten? Wie unterstützt ihr kleine Vereine bei ihren Festen? Wie überzeugt ihr die Geschäfte? Es scheint wirklich so, als ob im Gemeindeamt von St. Valentin gerade die Welt gerettet wird - Schritt für Schritt, Ort für Ort.Draußen ist die Welt aber noch die alte. Natürlich wissen die Bewohner St. Valentins von dem Plastikfrei-Beschluss ihrer Gemeinde. "Da gibt es schon ein Bewusstsein. Auch wir bieten jetzt Papier- statt Plastiksackerln an. Aber oft ist es schwierig: Lieferungen, die wir kriegen, sind zum Beispiel häufig in Styropor verpackt", sagt Wolfgang Fuchshuber, der hinter dem Tresen seines Cafés steht. Plastikfreiheiten auch in vielen anderen Geschäften auf der Hauptstraße: Die Angestellten der Apotheke geben ebenfalls Papiersackerln aus, in einer Bäckerei wird aus Holzstrohhalmen geschlürft.
"Der Beschluss im Gemeinderat war eine gute Sache. Aber es muss halt jeder an sich arbeiten, um Plastik zu vermeiden. Das geht es darum, Bequemlichkeit zu überwinden", sagt eine Frau, die gerade ihre Einkäufe - hauptsächlich plastikfrei - im Auto verstaut.
"Sachen, mit denen man sein Gewissen beruhigt"
Es ist ein Kampf in St. Valentin - von Geschäften, von jedem Einzelnen - der eine führt ihn stärker, der andere schwächer, einige überhaupt nicht. Doch dieses große Engagement im Kleinen ist wichtig, sagt auch Radomir Kovacic trotz all seiner Skepsis für den Plastikfrei-Beschluss: "Ich war auf tausenden Demos für den Klimaschutz. Das sind nur Sachen mit denen man sein Gewissen beruhigt. Damit erreichst du genau gar nichts. Mit meinem Geschäft kann ich zumindest hier in der Gegend zeigen, wie wichtig es ist, gesunde, regionale Lebensmittel zu kaufen und Kunststoff zu vermeiden."
Die Welle, die St. Valentins Bürgermeisterin mit dem Beschluss im Gemeinderat auslösen wollte - sie hat ihren Ort noch nicht voll erfasst, doch Suchan-Mayr gibt nicht auf: "Gewohnheiten müssen sich ändern, das Bewusstsein muss sich ändern. Es braucht, bis das in den Köpfen ankommt."- nicht nur in St. Valentin.Haben Sie Fragen oder Tipps zum Thema "Plastikfrei", schreiben Sie uns an plastikfrei@kleinezeitung.at Die bisherigen Teile der Serie, wie etwa "24 Stunden am Plastik-Planeten" finden Sie unter kleinezeitung.at/plastikfrei
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