Vorn am Pult: ein Dirigent von Weltrang. Vor ihm: ein Orchester mit bis zu hundert Meistern ihres Faches. Beim gemeinsamen Musizieren verschmelzen sie zu einem homogenen Ganzen, begeistern das Publikum nicht nur durch höchste Präzision, sondern auch mit spielerisch wirkender Leichtigkeit. Nichts sieht hier nach Anstrengung, nichts nach peniblen Proben, nichts nach klar definierten Arbeitsabläufen, strengen Hierarchien, nichts nach einem mühsamen Zusammenführen verschiedener Charaktere von Einzelkämpfern, Kleingruppen und nach diffiziler Förderung individueller Stärken aus.

Eine perfekte „Täuschung“. Denn die Perfektion ist Resultat harter Arbeit, fester Ordnung und klarer Führung, die Wege dorthin ein Vorbild für Unternehmen und Unternehmenslenker. Die Parallelen sind erstaunlich: „Ein Orchester ist ein Paradebeispiel für das erfolgreiche, offene und kreative Zusammenarbeiten von individualistischen Spitzenkräften“, ist Christian Gansch überzeugt.

Der gebürtige Wiener weiß, wovon er spricht. Er kennt alle genannten Seiten: die der Musiker als langjähriger Geiger bei den Münchner Philharmonikern, die des Taktgebers als Dirigent von internationalen Spitzenorchestern und die des Unternehmers als unter anderem mit vier Grammys ausgezeichneter Manager für eine große Musik-Produktionsfirma.

Heute berät er Führungskräfte und Unternehmen und hat seine These von vergleichbaren Strukturen im Orchestergraben hier und Bürotürmen dort auch in Buchform gegossen („Vom Solo zur Sinfonie - Was Unternehmen von Orchestern lernen können“, Eichborn-Verlag). Da wie dort gelte: „Aufeinander hören, miteinander handeln“ Richtung gemeinsames Ziel.

Christian Gansch über:

Vielfalt in der Einheit.
Nach außen hin wirkt ein Orchester wie ein einheitlicher Organismus. Die komplexe innere Struktur mit verschiedenen Herangehensweisen bleibt verdeckt. Sie führt aber mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem tragfähigen Ergebnis, als wenn alle Akteure gleichgeschaltet wären. Daher ist es wichtig, dass Mitarbeiter - egal, ob Orchestermusiker oder die Belegschaft eines Unternehmens - ausreichend Freiraum bekommen, eigene Wege für die Umsetzung eines Konzepts zu finden. Entscheidend ist, dass sich alle einem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühlen.

Delegieren von Verantwortung.
Wie ein Unternehmen teilt sich ein Orchester in verschiedene Abteilungen mit verschiedenen Aufgaben und Verantwortungsbereichen. Bei einem Orchester sind es die Instrumentengruppen mit jeweils eigenen Führungskräften. Diese internen Manager haben ein hohes Maß an Koordinierungs- und Führungsaufgaben inne, da es nicht zielführend ist, dass alle Fäden ständig und exklusiv beim Dirigenten beziehungsweise Firmenchef zusammenlaufen. Auch in Betrieben geht es um interne Autarkie, die im Zusammenspiel zum gemeinsamen Erfolg und einem hohen Maß an Identifikation mit dem Unternehmen führt.

Selbstverantwortung als Krisenvorsorge.
Vertrauen in selbstverantwortliches Handeln auf verschiedenen Ebenen stärkt den Gesamtkörper vor allem im Krisenfall, weil sich die Unternehmensleitung auf die Einsatzbereitschaft des Teams verlassen kann. Wenn Führungskräfte erst dann hinterfragen, was sie delegieren könnten, wenn sie selbst überfordert sind, ist es meist zu spät. Allerdings erfordert ein Delegieren auch ein hohes Maß an Akzeptanz von unterschiedlichen Herangehensweisen an Aufgaben.

Die richtige Teamgröße.
Sie sollte den Aufgaben und Inhalten der Aufgabe angepasst werden, nicht dem Budget, das zu Verfügung steht. Ist ein Projektteam zu groß - weil man ja niemanden benachteiligen oder übergehen will -, besteht die Gefahr, dass Diskussionen den Fokus verlieren und ausfransen, weil die falschen Leute für die richtigen Fragen anwesend sind.

Motivation und Führungsstil.
Motivation lässt sich nicht verordnen. Musiker und Mitarbeiter folgen aber ohnehin und bringen sich ein, wenn sie merken, dass die Führungskraft ein klares Konzept verfolgt und es um Inhalt geht. Insofern sind Führungskräfte stilprägend.

Individuelle Eigenheiten als Stärke.
Es macht einen Unterschied, welcher Instrumentengruppe Musiker angehören. Die Gruppen sind in ihrem Selbstverständnis durch typische Charaktereigenschaften ihrer Mitglieder geprägt. Man kann die Künstler nicht in einen Topf werfen. Das sollte man auch mit Mitarbeitern in einem Unternehmen nicht machen. Ihre Unterschiede und ihre Gegensätzlichkeiten formen im Zusammenspiel ein Stärkefeld. Zur Abstimmung ist aber permanente interne Kommunikation und Interaktion notwendig.

Die Kraft der Nervosität.
Lampenfieber ist keine persönliche Schwäche. Man benötigt eine gewisse Anspannung, um eine überzeugende, lebendige Performance liefern zu können. Will man gegen die Nervosität mit strategischen Argumenten ankämpfen, wird sie meist nur verstärkt, weil man ihr auf einer falschen, rein rationalen Ebene begegnet. Emotion, Konzentration und Anspannung sind ein Kraftfeld und setzen Energie frei.

Mitsprache.
Es ist unrealistisch zu glauben, dass bei der Einführung von Neuem immer alle Beteiligten überzeugt und „abgeholt“ werden können.