Für viele bricht eine Welt zusammen, wenn ihnen der Staat sagt, dass sie alt sind und jetzt in Pension gehen müssen“, holt Klaudia Bachinger im luftigen Gemeinschaftsraum des Wiener Packhauses aus. Das ehemalige Bundesrechenzentrum hat sich in ein Coworkinggebäude und einen Umschlagplatz für Ideen verwandelt - ein Tummel- und Spielplatz für neue Ansichten. Die perfekte Unterkunft für WisR („weiser“), eine Online-Jobplattform für nimmermüde Pensionisten, die im Juni 2017 gestartet ist.

Der Ansatz: Aktive Senioren - „Silver Ager“ - können ihr Profil posten und ihre Erfahrung in projektbasierten, saisonalen sowie Teilzeitjobs anbieten. Auf der anderen Seite können Firmen auf der Plattform erfahrene Mitarbeiter rekrutieren. Ziel ist es, die öffentliche Wahrnehmung des Alters zu verändern und zu zeigen, dass Menschen auch in einer fortgeschrittenen Lebensphase für den Arbeitsmarkt wertvoll sind. Ein Umstand, der auch mit Zahlen belegbar ist. Im Schnitt fühlen sich Menschen im Pensionsantrittsalter um 15 Jahre jünger. Oder: Ein 60-jähriger Mensch hat heute das biologische Alter eines 40-Jährigen von vor 100 Jahren.

Zukunft der Arbeit

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Die Mutter der Idee zu WisR, Klaudia Bachinger, hat sich in ihrer Vergangenheit als Videojournalistin schon oft mit der Frage beschäftigt, wie die Zukunft der Arbeit aussehen wird. Mit 29 Jahren kündigt sie ihren Job und pilgert nach Rom. „Auf den 750 Kilometern habe ich so viele Pensionisten getroffen, die mir erzählt haben, dass sie nicht so recht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen“, erzählt die 32-Jährige. Als schließlich auch Bachingers Großmutter, eine Landwirtin mit Leib und Seele, die ihre Waren auf dem Bauernhof vertrieb, in Pension geschickt und in Folge depressiv wird - kommt der Enkelin die zündende Idee: eine Plattform, wo Senioren noch Jobs finden können. Über einige Umwege findet sie schließlich Zahlenjongleurin Carina Roth, die ebenfalls neue Wege gehen will. Derzeit sind 1200 Silver User in einer Altersspannweite von 58 bis 65 Jahren und 85 Firmen im System. „Das ist die Generation, die in der Arbeit schon mit Computern zu tun hatte, die Smartphones besitzen und auch Whatsapp verwenden“, führen die drei Frauen mit Elan aus.

Zwei Kategorien

„Wobei sich die Senioren grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen lassen“, erklärt Susanne Stuppacher. „Da sind einerseits die Experten. Die Babyboom-Generation konnte ja noch ganz andere und viel steilere Karrieren machen, als es heute möglich ist. Sie wollen ihr Wissen einfach weitergeben. Und dann sind da noch die, die sich einfach etwas dazuverdienen müssen.“ Susanne Stuppacher ist 58 Jahre alt und seit September Head of Sales und für Human Resources bei WisR zuständig. Zuvor war die Zwillingsmutter bei den Cineplexx-Kinobetrieben im Recruiting. „Bei mir war die Karriereleiter von meinem Chef besetzt. Deswegen habe ich mit 57 Jahren gekündigt.“ Sie selbst ist wohl das beste Aushängeschild für die Plattform. „Ich kann in zwei Jahren in Pension gehen“, sagt sie und lächelt ein kokettes Lächeln.

Dennoch liegt die Frage nahe: Warum können Senioren ihren verdienten Ruhestand nicht genießen? Der amerikanische Soziologe Robert Atchley hat 1971 ein mehrstufiges Modell zum Gemütszustand angehender Pensionisten erstellt. Circa drei Jahre vor dem Ausscheiden aus dem Berufsleben wird die Pension als ersehnter Urlaub gesehen. In der „Nähephase“, wenn die Pensionierung unmittelbar bevorsteht, kommen erste Ängste und die Frage auf, wie die zukünftige Rolle aussehen wird. In der dritten, auch „Honeymoon“ genannten, wird die neu erlangte Freiheit intensiv gelebt. Doch nach dieser folgt die Ernüchterungsphase. „Am Anfang wird noch gereist oder man kümmert sich um die Enkelkinder, aber dann kommt oft das Erwachen“, erklärt Susanne Stuppacher.

Definition von Arbeit

Obwohl man auch zwischen den Geschlechtern unterscheiden müsse, wie die 58-Jährige einwirft. „Männer trifft der Pensionsschock stärker, weil sie sich hauptsächlich über die Arbeit definieren.“ Auch Firmen können die demografische Entwicklung nicht ausblenden. Immerhin dauert es Jahre, Experten auszubilden. „Pensionisten haben den Luxus, nicht mehr zu müssen, aber zu können. Sie sind schon fast flexibler als Studenten“, so Bachinger. Carina Roth fährt fort: „Ich höre beim Feedback oft, dass es schön ist, dass von uns nur Leute kommen, die wirklich arbeiten wollen.“