Sie haben gemeinsam mit Ihrer Frau, der Atempädagogin Susanne Menrad-Barczok, ein Buch mit dem Titel „Luft nach oben“ herausgebracht und unser Powerorgan Lunge unter die Lupe genommen. Aber warum fällt uns unsere Lunge eigentlich nur auf, wenn wir Probleme mit ihr haben?
Michael Barczok: Eigentlich ist das nur ein Hinweis darauf, dass die Lunge supergut in unseren Organismus eingeordnet ist. Wir haben ein Atemzentrum, das vollautomatisch alles, was die Lunge betrifft, an den Alltag anpasst. Ob wir liegen, laufen oder Treppen steigen - immer wird die Atmung angepasst. Dadurch kommt es, dass wir die immense Arbeit, die die Lunge leistet, nicht bemerken.
Haben Sie ein paar anschauliche Beispiele, was sie leistet?
Zum Beispiel: Die Menge an Luft, die täglich durch unsere Lunge fließt, würde einen Heißluftballon füllen. Außerdem ist unsere Lunge so kunstvoll gefaltet wie Origami, sodass aus dem ganz beschränkten Volumen, das unser Brustkorb überhaupt bereithält, eine Oberfläche wird, die so groß ist wie ein Fußballfeld. Bei der COPD schrumpft dieses Fußballfeld auf die Fläche eines Elfmeterraums, mit der man dann zurechtkommen muss und weshalb man dann entsprechend Probleme hat.
Menschen mit chronischen Lungenproblemen kämpfen sehr oft mit Atemnot, die auch starke psychische Auswirkungen hat. Wieso ist sie so beängstigend?
Wenn man Ihnen den Mund zuhält und Sie nicht mehr atmen können, dann merken Sie sehr schnell sehr intensiv, dass das nicht lange gut geht. Bei Nahrungsmitteln oder Wasser haben wir viel größere Reserven. Beim Atmen ist es ähnlich wie beim Herzen, wenn es aussetzt, hat man nur noch wenige Minuten, um da noch etwas zu unternehmen. Mit Atemnot im Bett zu sitzen, ist für die Psyche wesentlich belastender, als hohen Blutdruck zu haben.
Der Untertitel Ihres Buches lautet „Wie richtiges Atmen uns stärker macht“. Heutzutage sind wir oft außer Atem oder haben keine Zeit zum Durchschnaufen: Kommt das Thema Atmen in der Hektik des Alltags zu kurz?
Ja, denn wenn man die Atmung in Hektik und Stress alleinlässt, dann neigt der Mensch dazu, dass er immer oberflächlicher und schneller atmet. Dadurch wird die Ausnutzung der Lunge immer schlechter. Man nennt das dann „hyperventilieren“ und das hat zur Folge, dass man sich richtig in Atemnot hineinatmen kann. Innezuhalten und tief einzuatmen würde Spannung und Druck aus der Situation herausnehmen.
Menschen mit chronischem Husten kennen es nur allzu gut: In der Öffentlichkeit wird man schnell schief angesehen. Warum?
Es gibt ein großes Problem bei der Wahrnehmung von Atemwegserkrankungen. Sie haben am Anfang gefragt, warum wir unsere Lunge nicht bemerken oder, warum sie keine Rolle in der Öffentlichkeit spielt. Was bei den anderen beim Husten hochkommt, ist: Tuberkulose. Husten wird verbunden mit Tuberkulose, Schleim und damit, nicht leistungsfähig zu sein. Den Herzinfarkt kann ich heutzutage sozusagen vor mir hertragen und sagen: „Schaut! Ich habe so viel gearbeitet, dass ich einen Herzinfarkt bekommen habe.“ Der, der hustet, ist aber jemand, um den man lieber einen großen Bogen macht, weil der ist ja vielleicht ansteckend. Ich war als junger Arzt in Donaustauf, das war die „Hustenburg“. Viele sind um Donaustauf mit dem Auto herumgefahren und nicht mitten durch, damit sie sich nicht anstecken. Und dieses Denken ist immer noch vorhanden.
Also ist es um das Image der Lunge nicht gut bestellt?
Der soziale Status der Lunge ist einfach schlecht. In Deutschland haben sie das Problem, dass nur ganz wenige Lungenarzt werden wollen. Deswegen wollte ich in diesem Buch einmal darstellen, was für ein tolles Organ sie ist und die Leute dazu bringen, zum Arzt zu gehen. Bei der COPD ist das ja ein Problem.
Haben Sie aus diesem Grund auch den „Chor der Atemlosen“ gegründet?
Es war so, dass eine Patientin auf mich zukam, die Tanzlehrerin ist, und meinte, dass sie gehört hat, dass singen gut für die Lunge sei. Es gibt tatsächlich einige renommierte Studien, die zeigen, dass Singen in der Tat hilfreich ist, weil es ein Training fürs Zwerchfell ist und dafür, sich die Luft einzuteilen. Und dieses Einteilen hilft im Alltag, wenn es darum geht, sich zu belasten oder anzustrengen.