Sie beschäftigen sich schon lange mit der Frage, wie man das Gehirn fördern kann. Was war Ihre wichtigste Erkenntnis?

Katharina Turecek: Das eine ist, dass die Gesundheit des Gehirns eine ganzheitliche Angelegenheit ist. Natürlich ist Gedächtnistraining sehr wichtig, aber auch die körperliche Fitness und das seelische Wohlbefinden spielen eine große Rolle. Das erklärt auch, warum manche Menschen zwar gefühlsmäßig viel für ihr Gehirn machen, aber trotzdem geistig abbauen – es ist eine ganzheitliche Sache. Die zweite wichtige Erkenntnis ist, dass die Grundvoraussetzung für geistige Fitness die geistige Aktivität ist. Wenn es um den Körper geht, sind wir uns einig, dass wir viel tun können, um gesund zu bleiben. Beim Gehirn fehlt diese Einsicht noch: Da haben wir das Gefühl, man wird krank oder nicht. Doch wir sind verantwortlich für die Gesundheit unseres Gehirns.

Für die Nervenzellen im Gehirn gilt wie für die Muskeln des Körpers: „Use it or lose it“, gebrauche sie oder verliere sie. Welche Aktivitäten fördern das Gehirn aber besonders?

Wir haben ein wundervolles Netzwerk von Nervenzellen im Gehirn, dieses Netzwerk macht uns aus – unsere Gedanken, Persönlichkeit, Erinnerungen und Ideen. Wir verlieren im Laufe des Lebens aber Nervenzellen, das passiert durch Inaktivität, Gifte oder Stress. Die gute Nachricht ist, dass die Nervenzellen im Hypocampus, unserer Gedächtniszentrale nachwachsen. Dieser faszinierende Prozess heißt Neurogenese. Aber die schlechte Nachricht ist, diese Nervenzellen wachsen nicht von selbst, nicht so wie Nägel oder Haare. Das Wachstum muss angeregt werden – und der Mechanismus, der dieses Wachstum anregt, ist körperliche Bewegung.

Welche Form der Bewegung kann das leisten?

Allem voran ist es das Gehen. Das ist auch evolutionär erklärbar: Gehen hat uns in immer neue Umgebungen gebracht und da ist es sinnvoll, dass unser Gehirn aufnahmefähig ist. Durch das Gehen entstehen zwar viele Nervenzellen, aber sie bleiben nur bestehen, wenn sie genützt werden. Da kommt Gehirntraining ins Spiel.



Sie sagen, dass das Gehirn schwitzen soll. Wie geht das?

Es geht darum, das Gehirn vor immer neue Herausforderungen zu stellen. Alles, was Spaß macht, ist erlaubt – aber das erste Sudoku bringt sicher mehr als das tausendste. Wir müssen dem Gehirn zeigen, dass wir es brauchen. Leider leben wir in einer Zeit der Passivität. Es ist so einfach zu sagen, ‘ich google das schnell’. Wie bei der körperlichen ist es auch bei der geistigen Fitness wichtig, das Training in den Alltag zu integrieren. Mein Ansatz ist: Ich nehme auch gedanklich öfter die Treppe: Ich trainiere das Gehirn dort, wo ich es im Alltag brauche.

Haben Sie dafür konkrete Vorschläge?

Ich nehme zum Beispiel diese eine Telefonnummer, die ich am häufigsten anrufe und dann stelle ich mir die Frage, kann ich die Nummer auswendig? Das ist oft nicht der Fall und dann wähle ich diese eine Nummer wieder händisch. Oder Stichwort Navi: Wenn ich irgendwo noch nie gewesen bin, fahre ich vielleicht mit dem Navi hin, aber ich versuche ohne Navi zurückzufahren. Oder: Ich schreibe eine Einkaufsliste, aber lasse sie absichtlich zu Hause. Oder: Wenn ich neue Leute kennenlerne, höre ich bewusst hin und versuche sie dann mit ihren Namen anzusprechen.

Und das reicht schon?

Die nächste Stufe ist, Gehirntraining unterwegs zu machen und mit dem Gehen zu kombinieren – ich gehe spazieren und übe Kopfrechnen oder mache Wortfindungsübungen. Das hat gleich einen doppelten Trainingseffekt, weil wir dadurch „Dual-Tasking“ hervorrufen: Zwei Dinge gleichzeitig zu tun kann auch die Sturzwahrscheinlichkeit reduzieren.

Wenn Gehen so zentral für die Gehirngesundheit ist, welche Dosis empfehlen Sie? 10.000 Schritte pro Tag?

Das ist zwar ein guter Richtwert, beruht aber auf keinen Studien, sondern auf der Werbekampagne eines Schrittzählers. Ich würde sagen, alles was über 7.500 Schritten pro Tag liegt, ist ein guter Beginn. Alles, was unter 5.000 Schritten liegt, ist bedenklich.

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