Ihr Tagwerk beginnt, wenn die anderen schlafen gehen. Wenn es Nacht wird in der nordchilenischen Atacamawüste, dann gibt es ein gar unheimliches Spektakel: Die vier Kuppeln des Very Large Telescope (VLT) öffnen sich langsam und geben den Blick frei in die oft viel zitierten unendlichen Weiten. Und welche Welt sich eröffnet, geht weit über das für den Menschen vorstellbare Maß hinaus.

Da sieht man IC 4628, den Garnelennebel im Sternbild Skorpion, 6000 Lichtjahre von der Erde entfernt - ein Ort, an dem aus Gas- und Staubwolken Sterne entstehen. Jene gelbweißlichen Punkte auf dunklem Grund, die die Menschheit seit Anbeginn faszinieren und beeinflussen. Zurück auf der Erde: Kaum eine Kultur, die nicht von den Sternen beeinflusst wurde - von den Ägyptern bis hin zu den Maya - die Sterne bestimmten zu einem hohen Teil die Lebensweise und Gesellschaften. Wer die Sterne zu deuten wusste, war im Besitz enormer Machtfülle und nicht selten war es auch eine Frage des Überlebens, wenn es etwa um den richtigen Zeitpunkt für Aussaat und Ernte ging. Freilich waren die Grenzen zwischen Astronomie und Astrologie mehr als fließend und doch waren Völker schon früh in der Lage, mit primitiven Mitteln astronomisch zu arbeiten.

Kinderstube der Sterne - der Prawn-Nebel
Kinderstube der Sterne - der Prawn-Nebel © MARTIN PUGH /ESO

Bestes Beispiel ist wohl die 1999 entdeckte Himmelsscheibe von Nebra: Die 3600 Jahre alte Bronzescheibe gilt als weltweit älteste konkrete Himmelsdarstellung. Die Verquickung von Mythologie und Sternen begleitet uns bis in die Jetztzeit - der Sternenhimmel ist voll davon: Von Kassiopeia über Herkules bis Pegasus, 48 der insgesamt 88 Sternbilder stammen noch aus der griechischen Antike. Oft stehen wir nun in unserer hoch technologisierten Welt und suchen nächtens den Himmel nach Einhorn, Großem Bären und Perseus ab.

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Die Himmelsscheibe von Nebra
Die Himmelsscheibe von Nebra © (c) APA (BARBARA GINDL)

Doch wie lässt sich diese anhaltende Faszination beschreiben? „Wunderschön und ungreifbar“, nähert sich Alexander Pikhard von der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie der Antwort an. „Alles, was ich auf der Erde sehe, kann ich mir aus der Nähe anschauen - das geht bei den Sternen nicht. Und natürlich hat es einen Touch von Freiheit und drückt etwas aus, was die Menschen suchen.“

Das letzte große Abenteuer

Wenn alles kartografiert, registriert und katalogisiert ist, sehnt sich der Mensch offenbar nach neuen Abenteuern und das Universum verspricht sie - Unendlichkeit inklusive. Und das, obwohl das Weltall eigentlich eine Todeszone der Extraklasse ist: Extreme Temperaturen, Strahlung, Vakuum und Schwerkraft - für all das ist der Mensch nicht geschaffen. Und doch scheint es seine größte Triebfeder zu sein, diese Hindernisse zu überwinden - und die Chancen stehen nicht schlecht, wie die seit Jahren laufenden Simulationen und Langzeitvorbereitungen für einen Flug zum Mars zeigen. Frühestens 2035 könnte die Nasa zum Mars starten. Bereits viel weiter ist man bei der Suche nach potenziell bewohnbaren Planeten: Erst im Mai meldeten Wissenschaftler die Entdeckung von drei erdähnlichen Planeten, die die richtigen Voraussetzungen für die Entstehung von Leben aufweisen könnten.

Und man geht hier noch einen Schritt weiter: 2024 geht in der Atacamawüste das Riesen-Teleskop E-ELT in Betrieb. „Mit dem E-ELT werden uns Entdeckungen gelingen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können“, zeigte sich Tim de Zeeuw, Generaldirektor der Europäischen Südsternwarte (ESO), Ende Mai begeistert. Doch während die Technik immer tiefere Blicke ins All ermöglicht, können viele Erdlinge nicht einmal mehr einen ungestörten Blick auf den Sternenhimmel genießen, wie auch Alexander Pikhard kritisiert: „In zivilisatorischen Gegenden sieht man die Sterne fast nicht mehr. Man muss ordentlich weit aus der Stadt weggehen, bis man den Himmel gut sehen kann.“ Die Zahlen sind dramatisch: Über 80 Prozent der Weltbevölkerung leben unter einem mehr oder weniger lichtverschmutzten Himmel, allein in Europa können rund 60 Prozent der Menschen von ihrem Wohnort aus die Milchstraße nicht mehr sehen, wie eine Neuauflage des Atlas der Lichtverschmutzung zeigt. Vor allem für die Tier- und Pflanzenwelt sind die Folgen fatal, so braucht letztere den Wechsel von Tag und Nacht für die Photosynthese. Der Mensch, der beim Sternenhimmel ohnehin gerne zu romantischen Vorstellungen neigt, könnte sich aber auch an ein bisschen mehr Dunkelheit gewöhnen. Vorausgesetzt, er ist nicht sternhagelvoll.

Möglicherweise sollten wir uns einfach auf unsere Wurzeln besinnen. Denn der Mensch besteht letztlich - wie das Universum - aus Sternenstaub. Vielleicht rührt unsere Faszination für die Sterne auch ein ganz klein bisschen daher.