Schultern gerade, Gewehr bei Fuß. Gewehr in die Luft - zielen. "Bitte, das is ja keine gerade Reihe, wie schaut das denn aus!" Gut schaut's aus, wie die 70 Mitglieder der Murauer Bürgergarde ihre Marschformation demonstrieren. Zumindest für den Laien. Für Major Rudolf Steinacher ist fast perfekt nicht annähernd gut genug. Da ist ein Gewehr zu tief, da steht ein Fuß zu weit hinten, und überhaupt, die Reihe ist schief.
Ihre militärische Präzision hat sich die in der Steiermark einzigartige historische Murauer Garde bis heute bewahrt. Seit Anna Neumann, Herrin von Murau, 1616 die Bevölkerung aufrief, sich zu bewaffnen, dienen die Gardisten dem Schutz der Murauer Bevölkerung. "Gegen Feinde von außen, aber auch gegen vermeintliche Feinde von innen", wie Hauptmann Rudolf Paschek erklärt. Als solche galten im Mittelalter Anhänger des lutherischen Glaubens. Aus dieser Tradition heraus begleitet die Garde bis zum heutigen Tag christliche Prozessionen - "auch wenn der evangelische Pfarrer längst Mitglied ist", schmunzelt Paschek.
Seit 400 Jahren hat sich das Auftreten der Bürgergarde kaum gewandelt. Mann trägt mit der weißen Hose, dem grün-roten Garderock und dem "Tschako" am Kopf die traditionelle Uniform. Und, ganz wichtig, an den Füßen schwarze Socken. Wer drauf vergisst, der zahlt eine Runde. Auf Kleinigkeiten legt man Wert in Murau. Darum - wehe dem, der Hut zum "Tschako" sagt. Das kommt einer Ehrenbeleidigung gleich, zumindest outet man sich in Sekundenschnelle als Garden-Außenseiter.
Die Mitglieder der Garde kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Ein Bürgermeister, ein Maurer, ein Architekt, ein Straßenarbeiter: Sie alle sind Gardisten, ein "Sie" kennt man nicht. Und alle sind sie sich einig, es ist die Gemeinschaft, die die Mitgliedschaft in der Garde so verlockend macht. Übrigens auch für Frauen: Die dürfen zwar nicht in den Garderock schlüpfen, aber als Marketenderinnen am Brauchtum teilhaben.
Vieles an dem, wie sich die Bürgergarde in ihrem 400. Jahr des Bestehens präsentiert, mag veraltet wirken. Kleinlich. Doch das penible Festhalten am Althergebrachten hat einen guten Grund. 1848 wird die Garde aufgelöst und die Nationalgarde eingegliedert, 1938 von den Nationalsozialisten ganz verboten. Das Brauchtum zu leben, ist nicht selbstverständlich. "Wir sind sehr stolz darauf. Nichts soll verloren gehen", ist Obmann Paschek überzeugt.
Stolz ist man auch auf die jüngere Geschichte. Im historischen Friesachertor, einem alten Stadttor, bewahrt man die Erinnerungen wie einen Schatz. Da der Besuch bei Papst Johannes Paul II. Dort die Garde am Roten Platz in Moskau. Als erste Garde der Welt durften die Murauer jenseits des Eisernen Vorhangs aufmarschieren. Es verwundert angesichts der langen Tradition wenig, dass die Garde längt als immaterielles Kulturerbe der Unesco ausgezeichnet wurde. Und so feiert man das Jubiläum heuer auch unter Schirmherrschaft der Unesco, unter anderem mit den Steirischen Kulturgesprächen, einem ökumenischen Festgottesdienst und einem Festzug durch Murau.
Wie bei allen Ausrückungen wird auch dabei ein Mann allen anderen die Schau stehlen. Samson ist sein Name, fünf Meter ist er groß und 75 Kilogramm schwer. 1746 wurde die Figur für 24 Gulden nach Murau verkauft, seit 270 Jahren ist der Walzer tanzende Riese Begleiter der Garde.
Als einziger Ort Österreichs besitzt Murau gleich zwei Samson-Figuren, dem Zufall sei Dank. "Vor zehn Jahren fand man Reste eines uralten Samsons auf einem Murauer Dachboden. Wir haben ihn restauriert und neu belebt", erklärt Paschek. Gesamt gibt es das Samson-Brauchtum nur im Salzburger Lungau, im Bezirk Murau und, in abgewandelter Form, in Belgien. Noch ein seltenes Brauchtum also, auf das die Murauer zu Recht stolz sind.
Heute wird sie wieder aufmarschieren, die Bürgergarde. Mit ihren Gewehren, ihren Säbeln, ihren Tschakos und schwarzen Socken. Mit ihren Traditionen, die sie so verehren. Gemäß dem Leitspruch der Kulturgespräche: "Verehren. Vermehren. Verwehren."