Stellen Sie sich vor, Sie müssten jeden Tag vor dem Frühstück den Satz „Ich bin glücklich, weil ...“ vervollständigen. Spüren Sie ihn schon, den Kloß im Hals, das Rotieren im Kopf, die aufsteigende Wärme? Sehen Sie die drei rot blinkenden Rufzeichen?
Mit dem Glück ist es so eine Sache. Wir lechzen danach, wir jagen ihm hinterher, gar nicht wenige meinen sogar, ihrer beider Wege hätten sich noch gar nie gekreuzt.

Ein ganz schön großer Aufwand für etwas, bei dem wir schon damit hadern, „es“ einerseits für uns selbst zu definieren, und andererseits, es laut auszusprechen. Mehr denn je ist es in unserer nach Öffentlichkeit gierenden Welt ein Paradoxon, dass man mit der Ausrufung des eigenen Glücks recht sparsam, ja fast schon geizig umgeht. Fast so, als würde man einem alten Aberglauben anhängen. Es könnte ja irgendwo jemand mit Federkiel und Papyrus notieren: Wer drei Mal laut das Glück beschwört, der ist dem Untergang geweiht.

Dabei ist das Glück längst nicht jenes Fabelwesen, das wir gerne aus ihm machen. Denn Glück ist eigentlich messbar: 2.500 Kalorien, 100 Liter Wasser pro Tag, einen Kochplatz, zumindest sechs Quadratmeter Wohnraum und sechs Jahre Schule, so definieren die Vereinten Nationen in ihrem „World Book of Happiness“ die Grundlagen für Glück. Hinzu kommen mehrere Faktoren wie eine Arbeit, die den eigenen Fähigkeiten angemessen ist, eine stabile Liebesbeziehung, Freunde, Kinder, Gesundheit und genug Geld für Grundbedürfnisse. Das ist das Grundrezept, das laut Vereinten Nationen das Mindestsubstrat für Glück ist und als Entwicklungsauftrag für alle Länder zu sehen ist.

Während die Gründungsväter in den USA das persönliche Streben nach Glück als Grundrecht für jeden Amerikaner in ihre Verfassung geschrieben haben, ist das Recht darauf eine Staatsangelegenheit – zumindest in Bhutan. Im kleinen Himalaja-Königreich hat man das Glück seiner Bürger zur obersten Prämisse erhoben: Alle fünf Jahre wird hier das Glück seiner rund 750.000 Einwohner mit Fragebögen erhoben. Abgefragt werden neun Lebensbereiche – am Ende steht das viel zitierte „Bruttonationalglück“, das einen Aufschluss über die Zufriedenheit seiner Bürger gibt. Dass dabei in Bhutan längst nicht alles eitel Wonne ist, damit ist zu rechnen. Die Besonderheit ist, dass sich eine Staatsführung aktiv um das Glück ihrer Bewohner bemüht und es nicht nur als Teil der höchstpersönlichen Lebensgestaltung sieht. Glück auch als gesellschaftspolitischer Auftrag, doch wie definiert man diese Form von Glück? Die Rede ist hier von einer dauerhaften, glücklichen Grundstimmung, nicht von individuellen, kurzen Momenten.

Glück braucht guten Boden

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Dass es diese Grundstimmung gibt und sie in den meisten Ländern unterschiedlich ausfällt, zeigen Statistiken, wie etwa der „World Happiness Report“ im Auftrag der Vereinten Nationen. Hier wird anhand mehrerer Faktoren wie Einkommen, Lebenserwartung, soziales Netz und gefühlte Freiheit der Glücksindex errechnet. Die Idee dahinter: Regierungen sollen sich zu einer glücksorientierten Politik inspirieren lassen. Doch was kann man von den Top Ten noch lernen? Wie ist hier der Humus beschaffen, auf dem der Garten des Glücks gepflanzt wird? Eine Frage, die sich die Deutsche Maike van den Boom nicht nur selbst gestellt hat, sondern über die sie auch vor Ort nachgeforscht hat: Im Juli 2013 kündigt sie ihren Job und fährt für neun Wochen in die Top 13 der glücklichsten Länder der Welt. Ihre Grundlage ist die „World Database of Happiness“, deren Begründer der Niederländer Ruut Veenhoven, seinerseits Pionier der Glücksforschung, ist.


An seinem Institut in Rotterdam werden derzeit rund 9000 wissenschaftliche Publikationen mit rund 24.000 Ergebnissen darüber, wie glücklich Menschen sind, ausgewertet. Die Top-13-Länder waren gleichzeitig auch die Reiseroute von van den Boom: von Costa Rica über Dänemark und die Schweiz bis nach Australien. Ihre Idee dahinter: Den Deutschen das Glück dieser Länder ein wenig näherzubringen. Mehr als 300 Menschen hat sie interviewt, darunter nicht nur renommierte Glücksforscher, sondern Menschen quer durch alle Altersgruppen und Schichten. Diesen Weg zum Glück hat sie in einem Buch niedergeschrieben.


„Ich dachte, ich würde in jedem Land einen Glückstipp kriegen. Es sind ja Länder von Norwegen über Panama bis zur Schweiz dabei, und die haben auf den ersten Blick ja gar nichts gemeinsam. Je länger ich unterwegs war, desto öfter sagten die Menschen dann die gleichen Sachen. Und da dachte ich mir, das wird wohl der Schlüssel zu einem glücklichen Leben sein,“ so van den Boom, die einen Einblick in diese universellen Werte gibt, die die Menschen täglich leben und nicht nur als theoretische Konstrukte vor sich hertragen: „Verantwortung
übernehmen, dein eigenes Leben autonom und frei einzurichten, mit all den Konsequenzen, Äußerlichkeiten wie Status, Macht, Geld nicht so wichtig zu nehmen. Ein Bemühen um einen guten Umgang miteinander. Eine gesunde Portion Humor und Gelassenheit.“

Maike van den Boom
Maike van den Boom © Wolf Gatow


Wer einen genauen Blick auf diese Länder wirft, kann Erstaunliches feststellen – wie etwa die enorme Bedeutung von Vertrauen, das vor allem in den skandinavischen Ländern eine der wichtigsten gesellschaftlichen Grundzutaten ist. Gelebtes Vertrauen hat im Alltag eine enorme Bandbreite: Nicht an jeder Kasse Betrug zu wittern, hinter jeder Freundlichkeit Berechnung zu vermuten, den Autoschlüssel bedenkenlos stecken zu lassen bis hin zum Vertrauen in die Politiker des Landes und den Wohlfahrtsstaat. Eine Gesellschaft, die darauf vertrauen kann, wird deutlich gelassener sein. Auch die traditionell skandinavische Ablehnung von Status und Hierarchien verändert den Humus des Glücks. Das sogenannte Jante-Gesetz, eine Art „Gesellschaftsregel“, die ursprünglich einem Roman des dänisch-norwegischen Autors Aksel Sandemose entspringt, trägt einen gewichtigen Teil dazu bei. Die Essenz: „Glaube ja nicht, dass du etwas Besonderes bist!“

Glück ist harte Arbeit


Aber der Humus allein macht noch nicht den Garten, wie auch van den Boom klarstellt: „Die glücklichsten Länder der Welt strengen sich für ihr Glück ja auch an, die Menschen sind dort auch sehr diszipliniert. Ich habe mit einem Dänen gesprochen, der gesagt hat: ,Glücklich sein ist eine harte Arbeit.‘“ Das betrifft letztlich auch das ganz persönliche Streben nach Glück: „Es sind die großen Räder des Lebens, an denen man drehen sollte, um zu schauen, dass das Glück dauerhaft bleibt, anstatt an den kleinen Schräubchen rumzufummeln. Beispiel: Du hast einen Job, der dir nicht gefällt, dein Leben hast du nicht so eingerichtet, wie du es möchtest, aber du gehst wenigstens drei Mal in der Woche zum Sport – das trägt nicht zum Glück bei.“

Um dem persönlichen Glück auf die Sprünge zu helfen und es dauerhaft zu halten, gehört viel Mut, wie van den Boom selbst erlebt hat. Für ihr Buchprojekt hat sie ihren Job gekündigt, die Reise mit ihrem Ersparten finanziert. Ihre Glückssuche wurde zum persönlichen Glücksfall, mittlerweile ist die Kunsttherapeutin eine viel beschäftigte Trainerin und Vortragende. An ihrem eigenen Beispiel sieht man die unterschiedlichen, kulturspezifischen Einstellungen zu Entscheidungen, die man auf seinem Weg zum Glück treffen muss: „Ich habe meinen Job gekündigt, um das Buch zu schreiben. In Kanada hätte die Reaktion von ,gut gemacht‘ bis ,klar, was sonst‘ gereicht. In Deutschland: ,Bist du bescheuert?‘ – ,Das ist doch nicht sicher.‘ Und es ist so, wie ich es in diesen Ländern auch gelernt habe“, betont die Weltenbummlerin. „Du bist halt nur einmal auf der Welt und das muss man sich vor Augen halten.“

Eine weitere Glückskomponente, die sie sich unter anderem in Costa Rica abgeschaut hat, ist die Rückbesinnung auf die Zeit. Ein ganz wichtiger Faktor, so van den Boom: „Zeit ist ja der Reichtum des Lebens. Und während wir gerne denken, dass die Menschen in Costa Rica so arm sind, da sagen sie: Moment, wir sind hier reich an Zeit und menschlicher Wärme – ihr aber arm an Zeit und menschlicher Wärme.“ Auch wenn wir viele Dinge nicht zu hundert Prozent übernehmen können, so sollten sie zumindest eine Inspiration sein. Gleiches gilt für Humor und Lebensfreude, Glücksprinzipien, die man in Mexiko, Kolumbien und Panama als Gegenentwurf zur alltäglichen Gewalt sehen kann. Man lebt im Hier und Jetzt, denn was der morgige Tag bringt, kann niemand sagen.


Wer im Moment lebt, der weiß auch die Zeit anders zu nutzen. In Sachen Pünktlichkeit haben sich Mexiko, Kolumbien oder Panama übrigens von einem anderen Land inspirieren lassen. Soll man dort pünktlich erscheinen, so stehen hinter der Anfangszeit genau zwei Wörter: „Deutsche Zeit“.

© Krüger