Allerseelen und Allerheiligen rufen uns den Tod ins Gedächtnis. Sie haben die großen Wände wie den El Capitan in Nordamerika geklettert, waren 1978 mit Reinhold Messner ohne Flaschensauerstoff auf dem Everest. Wie gingen Sie als Extrembergsteiger mit Ihrem ständigen Begleiter um?

PETER HABELER: Natürlich geht der Tod mit. Vor allem bei Solobesteigungen. Nicht unbedingt, wenn ich in einer guten Zweierseilschaft unterwegs bin. Bin ich gut vorbereitet, fall ich nicht runter. Du kriegst natürlich zum Tod einen anderen Bezug. Wir Bergsteiger wollen aber alle nicht sterben. Nur denkt man nicht, dass er auch dich einmal erwischen kann. Bei einer schweren Tour geht es dir aber durch den Kopf. Du bist von dir überzeugt, du bist so im Kletterfluss, dass du weißt, es passiert nichts. Das ist vielleicht trügerisch.


Wann hatten Sie das Gefühl, dem Tod besonders nahe gewesen zu sein?


HABELER: Ich war mit Marcel Rüedi (ein kurz darauf am Makalu verstorbener Schweizer Spitzenbergsteiger, Anmerkung) 1986 am 8188 Meter hohen Cho Oyu. Da habe ich zum ersten Mal bei einer Expedition geglaubt, es geht dahin. Wir haben zweimal biwakiert, wir waren ausgelaugt bis zum Gehtnichtmehr, haben nicht mehr vom Berg gefunden. Dann haben wir uns hingehockt, da habe ich mir gedacht, jetzt ist es vorbei. Dann, wie durch ein Wunder, hat es wieder aufgeklart. Und wir sind abgestiegen. Wir sind die ganze Nacht durchgegangen und waren in der Früh wieder im Lager I.


Es gibt ein berühmtes Foto, das der große, britische Himalaya-Bergsteiger Doug Scott von Ihnen geschossen hat, das zeigt Sie in der Salathé-Wand am El Capitan, unter Ihnen geht es bergab, was denkt man in so einer unvorstellbar exponierten Situation?


HABELER: In so einer Situation wie am El Capitan denkt man überhaupt nicht an den Tod, es gibt viel zu viel zu tun. Eigentlich freut man sich nach dem schlimmen Biwak auf den nächsten Tag und geht mit viel Optimismus an die schweren Kletterstellen. Beim Expeditionsbergsteigen, allerdings meist in den inaktiven Momenten, in den Nächten mit starkem Sturm im Zelt, kommen die Gedanken an den Tod schon eher.


Glauben Sie, dass Bergsteiger anders mit dem Sterben umgehen als "normale" Menschen?


HABELER: Ich glaube, weil wir extremen Alpinisten dem "Klabautermann" öfters fast begegnet sind, haben wir weniger Angst vor ihm und können besser damit umgehen.


Sie waren auf vielen 8000ern. Wenn Sie sich anschauen, was Sie erreicht haben, wie viel Willenskraft braucht man dafür?


HABELER: Oh mein Gott, ich muss mich oft wundern, dass wir das irgendwo geschafft haben. Das ist eh logisch, ich brauch schon Power, ich muss an mich glauben, überzeugt sein von dem, was ich tue. Aber das ist eine Kettenreaktion. Um überzeugt zu sein, muss ich gelernt haben. Ich habe das Glück gehabt, dass ich als Fünf-, Sechs- und Siebenjähriger wahnsinnig gute Lehrer gehabt habe. Meiner Mutti schreib ich auch sehr viel zu, die hat viel Verständnis für diese obskure Tätigkeit des Bergsteigens gehabt. Dann habe ich das Glück der guten Partner gehabt. Reinhold Messner, Doug Scott. Plakativ kann man sagen: Wenn ich mit dem Messner geh, weiß ich, der fliegt nicht runter.


Beim Altkanzler Wolfgang Schüssel haben Sie auch keine Angst gehabt, dass er runterfällt?


HABELER: Der war tough. Mit ihm bin ich 20 Jahre im Gebirge.


Wie darf man sich den Bergsteiger Peter Habeler im Alter von 72 Jahren vorstellen? Sie haben einmal geschrieben, dass Sie heute keine Grenzen mehr versetzen?


HABELER: Das stimmt jetzt nicht mehr ganz. Weil ich mit meinem Freund, dem Fankhauser Horst (er war 1972 bei der Manaslu-Expedition mit Reinhold Messner, Anmerkung), am Beginn des Jahres beschlossen habe, dass wir alle Touren noch einmal machen, die wir im Alter von 20 gemacht haben. Wir haben natürlich in den "Drei Zinnen" begonnen. Gerade eben waren wir klettern, ein junger Bergführer hat so g'schaut, der hat uns nicht eingeholt. Da kommt Freude auf. ANDREAS KANATSCHNIG