Welchen Einfluss haben der Traunsee und die Region auf deine Küche?
Lukas Nagl: Genießen und kochen ist für mich ein Ausdruck aus Terroir und Persönlichkeit. Die Traunsee-Region mit ihrer Natur, den Jahreszeiten, den Menschen, die uns umgeben, beeinflusst uns natürlich maßgeblich. Nur ein Beispiel: Der Fischer, der morgens auf den Traunsee rausfährt, bringt seinen gesamten Fang direkt zu mir ins Restaurant Bootshaus. Das ist schon einzigartig – kommt aber wieder. Ich glaube, die Leute besinnen sich wieder mehr aufs Authentische, auf das sprichwörtlich Naheliegende. Deshalb wird es bei uns auch keinen Loup de mer geben, kein Lamm aus Neuseeland. Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse ist alles aus der Region und der jeweiligen Saison, vorwiegend biologisch angebaut, geerntet, produziert. Das ist mir sehr wichtig.
Deine Persönlichkeit als Koch spielt aber auch mit rein, oder?
Ja, ganz klar! Was man als Mensch erlebt hat, in welchen Ländern und Regionen man unterwegs war, was man kulinarischer Natur mitgemacht hat und mitmachen durfte – das alles münzt man am Teller um. Ich zum Beispiel habe in Afrika gesehen, dass Köche bzw. die Restaurants den gesamten Fang beim Fischer direkt kaufen. Und so machen wir das nun im Bootshaus genauso.
Deine Küche ist regional verwurzelt, aber auch sehr weltoffen. Vor allem von der japanischen Esskultur bist du angetan.
Ich sage immer: die Region am Teller und die Welt im Herzen. Diese Regionalität und Weltoffenheit sind für mich naheliegend. Österreichs Küche war ja seit jeher eine Integrationsküche. Das heißt, viele internationale Einflüsse sind in unsere Esskultur eingeflossen, man hat sie geschmeckt und gespürt. Einflüsse etwa aus Venedig, aus Böhmen, auch dem magyarischen Raum, also Ungarn, und so weiter. Letztlich ist es das, was vor allem die Wiener Küche extrem stark gemacht hat und von der wir heute noch zehren, um es mal so zu sagen. Heute ist die Welt globalisiert – damit sind die kulinarischen Einflüsse noch mal andere, häufig auch exotische. So haben wir begonnen, uns auch mit Fermentation zu beschäftigen und die japanische Esskultur ins Fine-Dining-Konzept des Bootshauses zu integrieren. Ich mache übrigens schon seit über 13 Jahren Fischsauce, Sojasauce und Miso-Paste selbst.
Feiner Punkt! Damit kommen wir zu Luvi Fermente – was steckt hinter diesem Projekt?
Ich finde es extrem spannend, aus profanen Zutaten alles herauszuholen und sie zu einem hochwertigen, geschmacklich erstklassigen Produkt zu machen. Mit dem Luvi-Projekt forschen mein Team und ich nach neuen Geschmäckern und adaptieren fernöstliche Fermentationstechniken auf regionale Produkte. Das bedeutet, wir verarbeiten regionale Lebensmittel und veredeln diese mithilfe ausgewählter Mikroorganismen zu Saucen, Miso-Pasten und anderen Fermenten. Regionalität geht also in die Tiefe. Beispiel Miso: Für mich ist es sinn- und fantasielos zu sagen: „Ich mache mir einen Salat mit Zutaten aus der Region und gebe ein Dressing mit Miso aus China dazu.“ Es braucht nachhaltige Alternativen. Genauso bei der Sojasauce, die ich über mein Bio-Gemüse aus der Region gebe – ob im Wirtshaus oder bei mir zu Hause – auch die sollte von hier sein! Wobei unsere Art von Sojasauce, die wir machen, gar kein Soja enthält! Sie besteht aus Rückständen, die wir nach dem Ölpressen von Kürbiskernen veredeln. In unserer Sojasauce stecken so viel mehr Proteine als in einer gewachsenen Sojabohne – das ist natürlich super, weil nachhaltig und geschmacklich der Hammer.
Also immer hochwertig produzieren und dabei nachhaltig, frisch, neu denken.
Genau! Leider war ja speziell die pflanzliche, die vegetarische Küche in Österreich bis auf wenige Klassiker wie Krautfleckerl immer ein wenig das Stiefkind der österreichischen Küche. Sie hatte auch nicht die Raffinesse wie viele Fleischgerichte. Deshalb bin ich der Meinung, es ist an der Zeit, dass wir auch im Vegetarischen deutlich mehr als nur a bisserl Raffinesse mit reinbringen sollten. Und da helfen uns Produkte wie unsere selbst gemachten Sojasaucen und Misos definitiv. Dabei ist mir aber auch wichtig: Wir machen japanische Produkte nicht einfach nur nach, sondern wir entwickeln unsere eigenen Dinge, unseren eigenen Touch. Und ich will damit auch den Leuten zu Hause etwas mitgeben – zum Nachkochen. Ich will nicht für eine elitäre Gruppe kochen, sondern etwas voranbringen.
Mach alles mit Herz, Hirn und Hand – ist das deine Devise, deine Philosophie?
Auf jeden Fall! Natürlich, Qualität kommt vom tausendfachen Wiederholen – früher hat man auch gesagt, von Qual. Davon halte ich allerdings wenig. Doch bin ich der Meinung, dass man sich nur weiterentwickeln, nur besser werden kann, indem man sich hohe Ziele steckt und kochtechnisch immer noch eine Schippe drauflegt. Und indem man sich gegenüber seinen Mitarbeitern wertschätzend verhält. Wir wollen uns ja gemeinsam weiterentwickeln und erstklassige Arbeit machen. Nachhaltigkeit fängt für mich im Herzen an. Womit ich wieder zur Qualität komme: Sie ist die unverhandelbare Wahrheit in der Küche. Über die Qualität, die wir rausgeben, wird nicht diskutiert. Wir müssen die beste Qualität von unseren Lieferanten einfordern und selbst die beste Leistung in der Küche abliefern. Das ist wie bei vielen Dingen im normalen Leben auch: Grüßen, bitten, sich bedanken sind einfach selbstverständlich, das macht man einfach. Ansagen in der Küche müssen darum natürlich immer auch gemacht werden – von mir, der die Rübe hinhalten muss. Aber eh klar, alles im menschlichen Rahmen, wir sind schließlich keine Diktatur. Zudem haben wir fast eine 50/50-Quote aus Frauen und Burschen, und wir sind ein bunter Haufen – von Spanien über Estland bis zur Ukraine sind alle möglichen Nationen in unserer Küche vertreten. Das macht richtig Spaß!
Was hältst du eigentlich von Digitalisierung in der Gastronomie?
Digitalisierung ist gut und wichtig – wenn sie Arbeitsprozesse erleichtert, statt bürokratischen Aufwand zu schaffen. Wenn ich mich um die wesentlichen Dinge kümmern kann. Und das sind eben auch menschliche Beziehungen. Heißt etwa: Wenn ich meinen Bestellvorgang komplett digitalisiere, dadurch aber meinen Gemüsehändler nicht mehr sehe, nicht mehr mit ihm telefoniere und spreche, dann ist das nicht sinnvoll, auch nicht empathisch. Bei aller Effizienz und Profitmarge ist Gastronomie immer noch eine Dienstleistung, ein Service für den Gast, ein Kümmern. Und vor allem hochwertige Gastronomie wie wir sie im Bootshaus leben, ist am Ende des Tages eine Unterhaltungsbranche. Wie Film, Theater oder Oper. Was man hier erlebt und genießt, Emotionen, Glücksgefühle, das kann man digital nicht messen.
Ein Blick in die Zukunft: Gibt es bestimmte Genuss- oder Zubereitungstrends?
Eigentlich richten wir uns nicht nach Trends. Wir machen im Bootshaus, was uns Spaß macht. Etwas, von dem wir zu 100 Prozent überzeugt sind, dass es gut und geil ist. Ich denke aber auch, dass die Leute gerne die Wahl haben. Mal möchten sie Fine Dining, also Gourmetküche, genießen. Dann „nur“ ein Schnitzel essen, aber in höchster Qualität. Und dann haben sie mal Lust auf eine Flasche Wein oder einen Cocktail und dazu ein paar Snacks à la carte. Das wäre für mich so ein Trend, auch hier bei uns am Land. Deshalb leite ich nicht nur das Restaurant Bootshaus fürs Fine Dining, sondern auch die Poststube 1327 für eine gehobene Wirtshausküche. Und seit Neuestem: die Béletage – ein Art-Living-Room mit einer Social Wine Bar und einer Küche mit Holzkohlegrill. Wie die Poststube befindet sie sich im Hotel Post am See, hat aber einen Fokus auf Casual Dining mit Gerichten zum Teilen, mit Wein, Drinks und Cocktails – richtig gute Sachen! Das Regionale kommt auch hier zum Tragen, einfach, unkompliziert, gut.
Apropos – zum guten Schluss: Was macht ein perfektes Sommermenü für dich aus?
Zunächst muss es ausgewogen sein in der Menge und im Geschmack. Es darf den Gast nicht überfordern. Und es muss einer gewissen Dramaturgie folgen – auch hier wie im künstlerischen Bereich wie etwa bei der Oper. Das ist schon cool bei uns im Bootshaus, ein Menü ist genauso, wie die WHO unsere Ernährung empfiehlt: 80 % pflanzlich, etwas Fisch, ein kleines Stückchen Fleisch im Hauptgang, viele gute Proteine, ein paar Kohlenhydrate sind auch immer super. Ein feines Menü muss einfach nur Spaß machen. Und es muss noch Zeit sein für was anderes nach dem Menü, wenn man mit seiner Partnerin oder seinem Partner … na du weißt schon. Da kann man ja nicht im Bett liegen und jammern, weil das Essen zu schwer war. Es geht ums Gesamterlebnis!
René Wentzel