Die gute alte Zeit ist in Österreichs Design- und Architekturlandschaft ein treuer Begleiter. Und dennoch verlieren Entwürfe und Bauten hier selten an Aktualität. Das liegt wohl daran, dass sich Unternehmen ihrer Traditionen bewusst sind, aber auch gerne von aktuellen Designern unterstützen lassen. Nehmen Sie doch gedanklich auf einem Alleegasse Fauteuil Platz und lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie sich die Zeitlosigkeit zeigt und welche Worte die heimische Designszene vorantreibt.
Staubfreier Ausblick
Im Jahr 1823 gründete Joseph Lobmeyr ein Unternehmen, um fein geschliffene Biedermeiergläser zu verkaufen. 1867 übernahmen seine Kinder Josef und Ludwig Lobmeyr den Betrieb des Vaters, nicht jedoch einfach so. Um neue Kunden für ihre modernen Produkte zu gewinnen, vernichteten sie das gesamte Biedermeier-Warenlager des Vaters. Ob es ein guter Marketing-Gag war oder eine demonstrative Aktion in einem Familienstreit, man weiß es nicht. Sicher ist, es brachte Erfolg! Mittlerweile produziert Lobmeyr Gläser und auch Luster in sechster Generation. Auf der ganzen Welt bringen sie Räume und Augen zum Leuchten. Die Liste der Referenzen ist lang, hochkarätig und manchmal auch kontrovers. Der Met-Luster beleuchtet nicht nur das gleichnamige Opernhaus in New York, sondern auch das Anwesen von Rapper Drake in Toronto. Neben weiteren Klassikern wie den Alpha Gläsern oder den Trinksets von Josef Hoffmann, macht Lobmeyr auch regelmäßig durch neue Entwürfe von sich reden. Stefan Sagmeister, Marco Dessí und zuletzt mischer’traxler sind nur drei Designer, die für Nachschub gesorgt haben. „Das Alte inspiriert das Neue“ ist eines der Credos von Lobmeyr. Hier kann das Glas definitiv keinen Staub ansetzen!
Zeitloos
Ums Eck vom Lobmeyr-Geschäft ist die berühmte American-Bar. Sie ist über 100 Jahre alt und immer noch im Trend. Und das liegt wohl auch an der Philosophie ihres Architekten Adolf Loos, der dieses Werk aus Onyx, Holz, Glas und Messing im Jahr 1908 erschaffen hat: „Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet.“
Spotlight on
In den 1950ern haben die Loos-Bar-Besucher ihre Zigaretten und Zigarillos übrigens in den kronenförmigen Aschenbechern von Carl Auböck zerdrückt. Für den Werkstätten-Besuch müssen wir uns nun in den siebten Wiener Bezirk begeben. Hier werden die ikonischen Alltagsobjekte seit über hundert Jahren produziert. Der Auböck Katalog umfasst aktuell 450 Objekte, darunter Briefbeschwerer, Essbesteck oder Buchstützen. Zu den neueren Entwürfen zählt ein skulpturaler Fuß für Birkenstock nach einem Entwurf von Carl Auböck II. aus dem Jahr 1952. Und dann gibt es noch Carl Auböck IV., der das Signatur Material Messing auf seine eigene Art und Weise interpretiert und Vasen, Leuchten und sogar Motorrad-Verkleidungen daraus formt. „Was ich wirklich über den Geist unseres Familienunternehmens gelernt habe“, so Carl Auböck IV., „ist, dass es keinen Platz für Nostalgie und das Aufzählen von Erfolgen gibt.“ Vielmehr möchte er sich an den Leitgedanken seines Großvaters halten: „Sei ein Scheinwerfer, kein Rückspiegel.“
Mit der Pflicht zu erfreuen
Auch Familie Wittmann richtet ihren Blick stets nach vorne: 1896 wurde die Sattlerei gegründet, die sich dann zu einer renommierten Polstermöbelmanufaktur entwickelt hat. Zu den Klassikern zählen die Entwürfe von Josef Hoffmann, darunter die Polstergruppe Alleegasse im schwarz-weißen Streifenlook, die neuerdings von Modedesigner Arthur Arbesser bunt eingekleidet wurde .Zu den Neuauflagen gehört auch die Re-Edition der Atrium Sofalandschaft aus den 1970ern, der man ihr Designalter nicht anmerkt. Zahlreiche Namen, wie Luca Nichetto oder Jaime Hayon sorgen dafür, dass die Wittman’sche Möbel-Euphorie nicht nachlässt, ganz im Sinne von Hoffmann, dem folgendes zugeschrieben wird: „Ich gebe alles Praktische und Notwendige zu, aber ich denke, dass wir auch immer die Pflicht haben, zu erfreuen. Diese Freude ist Hauptpflicht unseres Daseins.“
Der richtige Blick
Freude bereitet es auch, auf Sommerfrische zu fahren, etwa in die Gegend um den Semmering, wo die Naturlandschaft und Panoramablicke niemals alt werden. Während Panhans und Südbahnhotel wieder in den Findungsphasen sind, haben Michael Niederer und Andreas Wessely von Sankt Corona Interiors in der Gegend schon ganz gut vorgelegt. Im Hotel Fernblick ist die namensgebende Aussicht immer schon toll gewesen. Heute ist das ehemalige Gasthaus eine Hochzeitslocation im Mid-Century-Stil mit Details, die Spaß machen. Vis-à-Vis lautet nicht nur der Name des nächsten Projektes, das 200 Jahre alte Hotel, das sie renovieren – es befindet sich wortwörtlich gegenüber vom Hotel Fernblick. Am Semmering thront zudem ein Jugendstiljuwel aus dem Jahr 1904 namens Villa Antoinette, das größere Gruppen zum Erquicken, Kokettieren und Echauffieren einlädt. Eine weitere Villa, die 2025 eröffnet wird, ist das Hotel Bergschlössl mit Spa-Bereich und Orangerie.
Schichtweise Veränderung
Auch die Faszination von Wasserfällen ist immerwährend, womit wir schon beim nächsten Kurort angekommen sind: Bad Gastein. Über den Ort gibt es viel zu erzählen. Mit seinen imposanten Steilhängen, den Hochhäusern und seinen prominenten Gästen wird er oft kontrovers aufgenommen. Das Manhattan der Alpen gilt als Kulisse für Glamour und Größenwahn und ist Schauplatz für Tratsch und neue Hotelprojekte. Das Hotel Miramonte und das Haus Hirt sind hier schon gut etabliert. Zu den Neuzugängen zählt das von den BWM Designers & Architects entwickelte, unter Denkmalschutz stehende Ensemble Straubingerplatz. CEO Erich Bernard hat sich hier an Loos gehalten: „Man kann alles verändern, wenn man weiß, was man verändert“. Zum Projekt gehören das Grand Hotel Straubinger, das sich dem eleganten Glanz der alten Zeit verschrieben hat und das Badeschloss, das als brutalistisches Werk in die Höhe ragt und in seinem Inneren zur Retro-Badekultur aufruft.
Einfach schwimmen
Apropos Badekultur: Zum Abschluss gönnen wir uns noch eine Runde im Grünen Becken des Thermalbads Vöslau, das seit 1873 in Betrieb ist. Hier war sogar schon der Kaiser Franz Joseph I. zu Gast. Und zwar in einer Zeit, als das von Theophil Hansen errichtete Gebäude noch stand, welches später von den Architekten Peter Paul Brang und Louis Breyer sein heutiges Erscheinungsbild bekam. Gleichberechtigung war hier früher übrigens schon großgeschrieben, schließlich war das Thermalbad eine der ersten Badeanstalten Österreichs, in denen Frauen Schwimmunterricht erhalten durften. In diesem Sinne wollen wir uns nun also weiterhin so frisch an der guten alten Zeit erfreuen!
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