Liebe Parvin, wusstest du, dass dein Vorname „Plejaden“ bedeutet? Ein Sternhaufen, der mit bloßem Auge von der Erde aus sichtbar ist.
Parvin Razavi: Oh! Früher dachte ich immer, mein Name bedeutet so was wie Sternschnuppen! Aber ich bin nach meiner Großmutter benannt. Sie war eine enorm starke Persönlichkeit, zäh, dominant, emanzipiert, eine coole Frau!
Das Hotel Gilbert definiert sich als chic-urbanes Open Minded-House. Wie beeinflusst das die Küche des Haubenlokals Gilbert & Flora?
Im Gilbert sollen sich alle Menschen wohlfühlen, welcher Herkunft, sexuellen Orientierung, welchen Geschlechts auch immer. Zudem arbeiten hier auch körperlich beeinträchtigte Menschen. Diese Offenheit wirkt sich insofern auf die Küche aus, als dass sie inhaltlich anders gedacht war: eher als Brasserie, fleischorientierter. Es war ein fertiges Produkt, in dem ich meinen Platz hätte finden können, doch ich habe gesagt: Leute, schön und gut, aber ich mache es anders! Ich habe viel über die Vision des Flora als Marke gegrübelt. Dann habe ich einem erlesenen Freundes-, Unternehmer- und Journalistenkreises all das auf den Teller gebracht, was ich mir für diesen schönen, weil auch grünen Ort vorstelle. Von zehn Gängen waren neun vegetarisch. Farm-to-table. Die richtige Vision zur richtigen Zeit. Und da bewusst eine Küchenchefin gesucht wurde, die sich den Job zutraut, gibt es heute eine Küchenlinie, die sich stark von den meisten anderen Wiener Hotelrestaurants unterscheidet.
Ist es deine Philosophie, Menschen zusammenzubringen, indem du die persische Küche mit anderen Einflüssen connectest?
Tatsächlich sage ich immer: Essen verbindet, Kochen ist Liebe. Doch würde ich nicht sagen, dass ich typisch persisch koche. Meine Art zu kochen, ist high-end, sehr fein und filigran. Es ist Zeit, die orientalische Schmorküche auch in Wien in eine visionäre Richtung zu bringen, wie es etwa in London schon lange passiert. Also interpretiere und dekonstruiere ich persische Gerichte. Ich will immer meine Küche machen. Orientalisch beeinflusst, aber ich liebe auch die japanische, die mediterrane, die mexikanische, die nordische Küche. Es ist eine Offene-Welt-Küche, für die ich stehe. Schon vor Jahren dachte ich mir: Meine Zeit wird noch kommen, in der meine Gerichte nicht mehr als exotisch gelten. Von daher matcht meine Küche sehr gut mit dem Gilbert als Open Minded-House!
Wovon ist deine Küche noch inspiriert, wovon lässt du dich leiten?
Als Studentin habe ich auf einem Bio-Bauernhof gearbeitet. Schon damals, als Bio noch extrem hippie war, interessierte mich, woher mein Essen kommt. Mein ganzer Kochprozess hat heute stark damit zu tun. Mit welchem Produkt arbeite ich, welche Vielfalt kann ich aus ihm kreieren? Mich inspiriert es, wenn Lieferanten wie Krautwerk oder Dirndln am Feld mir ihr Gemüse bringen, ich es sehen, fühlen, hören kann beim Reinbeißen. Schon manch Geruch lässt mich gedanklich in eine vergangene Zeit fliegen, in meine Kindheit etwa. Das ist der schönste Luxus. Die Natur inspiriert mich, die jeweilige Jahreszeit, sich selbst immer zu challengen – also, wie ich wirklich alles am Produkt verwerten kann!
Du hast mal gesagt: „Ich bin das weibliche Pendant zu diesen Männern.“ Was meinst du damit?
Viele Männer bewerben sich um Positionen, für die sie nicht die nötige Expertise mitbringen. Haben sie Führungserfahrung – ja oder nein? Haben sie überhaupt jemals eine Küche geleitet – ja oder nein? Diese Männer trauen sich das aber alles zu. Frauen nicht. Frauen wiegen immer ab: Kann ich das? Kann ich mich dafür bewerben? Usw. Viele Frauen zensieren sich schon im Vorfeld selbst. Deshalb meinte ich, ich bin das Pendant zu diesen Männern – ich traue mir immer alles zu.
Mit deiner kulinarischen Arbeit verbindest du also auch eine emanzipatorische Haltung.
Ja, ich finde wichtig, zu sagen: Ich bin Feministin und stehe trotzdem gerne am Herd! Spannend ist in diesem Kontext ja auch: Zu Hause kochen sehr oft die Frauen. Aber sobald das professionalisiert wird und man damit Geld verdienen kann, ist es plötzlich eine männliche Domäne. Viele männliche Kollegen, auch berühmte Köche, werden übrigens immer sagen: Die Person, die ihr Kochen am stärksten beeinflusst hat, ist ihre Mutter oder ihre Großmutter. Aber nicht ihre Ehefrau.
Nun bist du auch zweifache Mutter. Wie kriegst du Alltag und Jobstress zusammen?
Meine Töchter sind 18 und 14 und sehr selbstständig. Zudem haben sie einen sehr guten Vater. Klar, ich spüre schon meine Downs, weil ich oft keine Zeit finde. Meine Töchter und ich haben trotzdem ein super Verhältnis, weil ich ihnen eben viele andere Sachen mitgebe. Wir sprechen viel und es ist spannend, zu sehen, wie sie Feminismus für sich schon jetzt definieren. Die Gesellschaft suggeriert ja, dass du nur dann eine gute Mutter bist, wenn du bei deinen Kindern zu Hause bist. Ich sehe das anders. Ich bin eine gute Mutter, wenn ich ein gutes Vorbild bin für meine Kinder. Wenn ich ihnen zeige, was möglich ist als Frau, selbstständig zu sein, unabhängig auch von Finanzen, vieles mehr.
Hast du vor irgendetwas Angst?
Ich bin eigentlich recht furchtlos. Aber Verlustangst ist ein Aspekt in meinem Leben, allein durch den Golfkrieg in den 1980er-Jahren. Oder als mein Papa vor Kurzem gestorben ist, hatte ich das Gefühl, einen Teil meiner Wurzeln verloren zu haben. Welche sind überhaupt meine Wurzeln? Es sind meine Eltern. Die einzigen, mit denen ich noch Farsi sprach und spreche, die mein iranisches Kulturlexikon sind. Doch ich weiß und sage auch: Ich habe einen persischen Teil in mir und bin zugleich Teil unserer wunderbar diversen Gesellschaft .Und ich bin Wienerin mit Leib und Seele – mit typischen Eigenschaften wie den Wiener Grant und ein bisschen der Wiener Hochnäsigkeit. (lacht)
Was verbindest du mit Khoresht-e-Gheymeh?
Es ist eine meiner Lieblingsspeisen: Schmortopf mit Lamm, Spalterbsen, getrockneten Limetten und Reis. Comfort Food, das einfach glücklich macht! Wenn es mir mal nicht so gut geht, koche ich persisch. Das gibt mir auch ein Gefühl von Sicherheit, auch meine Kinder lieben und wollen das. Oder wenn ich an grüne Mandeln mit Salz denke, an persisches Brot gebacken auf Steinen – dann sehe immer meine Tanten, wie sie kochen in Hülle und Fülle und lustig dabei gackern.
Gibt es eigentlich auch im Iran so etwas wie eine „Sommerfrische“? Besondere Rituale, die man begeht, oder schöne Orte, die man besucht?
Ja, die Betuchten reisen gerne ans Kaspische Meer. Dort herrscht feuchtes Klima, das Wasser ist da, der Wald ist da, die Luft ist gut – kein Vergleich zu Teheran! Im Meer zu schwimmen, ist so ein Ritual, wenn auch nach Geschlechtern getrennt, eh klar. Generell lieben es aber alle Iraner, in Parks zu picknicken und zu grillen, am besten mit der ganzen Familie!
Die Menschen im Iran sind trotz aller Probleme dort sehr gastfreundlich – auch uns Westeuropäern gegenüber. Woher kommt das?
Wenn jemand den weiten Weg in den Iran gemacht hat, freut man sich dort! Wir lieben es, uns um Gäste zu kümmern, Essen zu geben, anderen unsere Kultur und Esskultur näherzubringen, es hat was Verbindendes! Damit zeigen wir auch, dass es im Iran nicht nur so ist, wie es oft scheint. Der Iran hat eine der höchsten Akademikerraten weltweit, sehr gebildete Menschen leben hier. In der iranischen Kultur ist es grundsätzlich sehr wichtig, Gastgeber zu sein. Wir müssen den Gast glücklich machen, damit das Glück auch zu uns kommt. Es ist ein Spiel mit feinen Nuancen in der Sprache, mit denen wir fremde Menschen auch überreden, zu bleiben. Ein Spiel zwischen Höflichkeit und Ernst, das sehr schön, aber schwer zu entschlüsseln ist für Europäer. (lacht)
Es ist also auch die iranische Gastfreundschaft, die du in deine Arbeit mit einfließen lässt?
Das Wunderschöne an meinem Beruf ist das Unmittelbare. Wenn es meinen Gästen schmeckt, sehe ich das. Manche kommen vor zur Küche und bedanken sich. Oder ich spüre, dass sie etwas sagen möchten, es aber nicht tun. Häufig erkläre ich meine Gerichte auch am Tisch. So erkennen die Gäste, dass ich das, was ich mache, leidenschaftlich mache. Sie sind die Reflexion meiner Arbeit. Das ist wirklich toll! Es macht mich einfach glücklich, Menschen mit meinem Essen glücklich zu machen.
Wenn du Kochen mit einem Wort beschreiben müsstest, welches wäre es? Sterne?
Liebe!
René Wentzel