Die Sonne hat seit Anbeginn der Zeit eine wichtige Rolle für die Menschen gespielt. Sie spendet Licht und Wärme, bestimmt unseren biologischen Rhythmus und entscheidet darüber, ob die Ernte gedeiht oder verkümmert. Spätestens mit dem Aufkommen des Ackerbaus wurde es für die Menschen wichtig, ihr Leben am Zyklus der Jahreszeiten auszurichten. Wenn am Abend des 20. Juni die Sonne untergeht, endet der längste Tag des Jahres. Astronomisch markiert dieses Datum die Sommersonnenwende, den Sommerbeginn auf der nördlichen und den Winterbeginn auf der südlichen Erdhalbkugel. Bei uns hat die Sonne dann ihren höchsten Punkt erreicht und wandert wieder in Richtung Süden, bis sie zur Wintersonnenwende im Dezember ihren südlichsten Stand erreicht. Während der längste Tag bei uns etwa 16 Stunden dauert, geht die Sonne in Kapstadt in Südafrika bereits um 17.39 Uhr unter.

Im Christentum wurden viele der heidnischen Bräuche übernommen, mit denen die frühen Menschen ihre Verehrung für die Sonne und ihren Wunsch nach einer guten Ernte markiert haben. Das Feuer, als Symbol für die Sonne bildet dabei eine Konstante, die sich durch viele Kulturen zieht. In der „Noche de San Juan“, der Johannisnacht in Spanien, werden am 24. Juni die Strände von riesigen Feuern erleuchtet und die Menschen feiern weit in die Nacht hinein. Ähnlich auch direkt hinter unserer südlichen Grenze, in den Tälern des Flusses Natisone. Hier wird die „Notte di San Giovanni“ gefeiert. Beim Beisammensein rund ums Lagerfeuer wird die traditionelle Marve gegessen, ein Gericht aus Teig und Kräuter wie Salbei, Minze und Mutterkraut. In den Sonnenwendfeuern werden auch die ausgedienten Blumenkreuze verbrannt, die das Jahr über an den Haustüren hängen und die Bewohner beschützen sollen.

Von Skandinavien bis zur Donau

In Finnland ist der Mittsommer ein nationaler Feiertag. Finnen fahren an diesem Tag traditionell aufs Land und feiern mit Freunden und Familie unter der Mitternachtssonne. Eine ähnlich große Bedeutung hat der Mittsommer in Schweden, wo ebenfalls mit großen Familienfesten gefeiert wird.

Die kürzeste Nacht des Jahres wird auch bei uns vielerorts vom Feuerschein beleuchtet sein. Die Tourismusregion Wachau wirbt für etwa ihre Sonnenwendefeiern entlang der Donau. An den Flussufern werden Reisighaufen entzündet und die Nacht wird mit Facklen und Feuerwerken erleuchtet. Während treibende Laternen die Donau buchstäblich in ein Lichtermeer verwandeln, bietet die Schifffahrt in der Region spezielle Touren an.

Feuerschein erleuchtet das nächtliche Land von den Flussufern bis zu den Berggipfeln. In Tirol wurden die traditionellen Bergfeuer 2010 von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Die eindrucksvollsten Flammenspektakel kann man am Samstag, 22. Juni, in der Tiroler Zugspitz Arena rund um Ehrwald, Lermoos und Biberwier bewundern. In Innsbruck bringen die Bergbahnen bis tief in die Nacht Schaulustige zu den Feiern auf die Gipfel.  

Sehnsucht nach natürlichen Rhythmen

Im Gegensatz zu früher hat das Feiern der Sonnenwende heute weniger mit dem Wunsch nach einer guten Ernte zu tun, als mit der Sehnsucht nach einer Verbindung zur Natur und nach Entschleunigung. Das bestätigt auch die Trendforscherin und Soziologin Christiane Varga. „Das Bedürfnis nach Ritualen, nach etwas Wiederkehrendem ist tief in unserem Menschsein verwurzelt. Früher haben die Menschen viel mehr nach Zyklen und Rhythmen der Natur gelebt. Vieles davon ist in der modernen Welt abhandengekommen“, erklärt Christiane Varga. Gleichzeitig spielen wirtschaftliche Interessen eine größere Rolle. Nicht nur der Tourismus profitiert von der Wiederbelebung der alten Bräuche. Spirituelle Lebensberater nutzen das Datum, um auf Social Media für ihre Angebote zu werben. Workshops und Seminare versprechen, dass es die ideale Zeit sei, um persönliche Veränderungen anzustoßen. Kräuterberaterinnen veranstalten Führungen und Kurse. Selbsternannte Schamanen haben Hochkonjunktur. „Sonnenwendefeste sind für viele einfach ein weiteres Lifestyleprodukt geworden, das sich schön auf Instagram inszenieren lässt“, fasst Varga zusammen.

Neben der zunehmenden Kommerzialisierung ist aber auch ein Rückbesinnen zu lange vernachlässigten Kulturen zu beobachten. In Kanada wird zur Sonnenwende der Indigenous Peoples Day zu Ehren der Ureinwohner gefeiert. In Peru wurde im zwanzigsten Jahrhundert mit dem Inti Raymi ein religiöses Fest der Inkas wiederbelebt. Über neun Tage werden Prozessionen, Tänze und nachempfundene Opfergaben veranstaltet. Höhepunkt sind die Feiern auf den Inka-Bauwerken von Sacsayhuamán bei Cusco am 24. Juni.

Feier in Stonehenge

Die wohl bekanntesten Sonnenwendefeiern finden im britischen Stonehenge statt. Der geheimnisvolle Steinkreis wird auf die Jungsteinzeit datiert. Die Monumente sind exakt nach dem Sonnenstand der Sommer- und Wintersonnenwende ausgerichtet sind und regen bis heute die Fantasie der Menschen an. Laut BBC nahmen 2022 etwa 10.000 Esoterik-Anhänger, selbsternannte Druiden und Schaulustige an dem Fest teil.

Sonnenwendefeiern wohin das Auge blickt, könnte man fast sagen. Hinter der Rückbesinnung auf uralte Bräuche steht nicht nur ein Modetrend sondern eine tiefe Sehnsucht des Menschen: „Diese Feste sprechen auch unsere tiefe Sehnsucht nach Zugehörigkeit an. Menschen möchten zu einer Community gehören und etwas Besonderes erleben. Es ist auch eine Sehnsucht nach etwas Transzendentalem, nach einer spirituellen Erfahrung, die in uns Menschen immer drinnen ist.“