Deutscher müsste man sein. Zumindest als Igel kann man sich das heuer denken, ist Erinaceus europaeus – der Braunbrustigel – im Nachbarland doch „Tier des Jahres“. Hierzulande gehen die Borstenträger als inoffizielles „Tier des Monats“ durch, erwachen sie doch gerade aus ihrem Winterschlaf.
Sein ursprüngliches Revier waren kleinteilige Heckenlandschaften, feuchtes Grasland mit Gebüschen und Gehölz und offene Laubwälder – schwierig zu finden in Zeiten von landwirtschaftlichen Monokulturen mit riesigen Ackerflächen und tonnenschweren Traktoren und den drainagierten Einfamilienhauswüsten mit ihren Mährobotern, wo Futter und Versteckmöglichkeiten so rar sind wie Schatten in der Sahara. Dieser Verlust an natürlichem Lebensraum hat den Igel in Deutschland flugs auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohen Tierarten gebracht. Status: Vorwarnstufe. Auch in Österreich ist er streng geschützt. Und da wie dort unverwechselbar: Kein anderes heimisches Tier hat einen Stachelpelz.
Auf dem Rücken eines Tieres drängen sich zwischen 5000 und 7000 dieser Stacheln, die eigentlich verhornte Haare sind. Sie bedecken den Rücken der Igel vollständig vom Stirnansatz bis zum Schwanz und reichen seitlich bis zum Bauchfellansatz und sind angeboren. Schon Igelbabys kommen mit rund 100 Stacheln auf die Welt. Sie sind weiß, weich und in die mit Körperflüssigkeit aufgequollene Haut eingebettet, so dass sie den Geburtsgang der Igelmama nicht verletzen können. Nach etwa vier bis fünf Tagen beginnen einzelne pigmentierte Stacheln zu sprießen; die weißen Stacheln, vom Volksmund auch „Milchstacheln“ genannt, fallen später nach und nach aus. Als zweite Generation wachsen Stacheln, die lediglich etwas kürzer sind als das endgültige Stachelkleid. Im Alter von 14 Tagen bis vier Wochen beginnt das Wachstum des Dauerkleides: dunkel gebänderte Stacheln, die sehr langlebig sind und nur selten ausfallen. Sie wärmen allerdings nicht, weshalb Igel darunter noch eine Unterwolle haben.
Der Farbverlauf der Stachel von schwarz über braun und grau bis weiß tarnt sie im dichten Laub und auf erdigen Waldböden. Droht dennoch Gefahr, rollt sich der Igel blitzschnell zu einer Kugel zusammen und die Stacheln werden zu einem undurchdringlichen Schutzschild. Als „Erfolgsmodell der Natur“ bezeichnete die mit 30 Millionen Jahren Evolutionsgeschichte im Vergleich zum Menschen zehnmal so alten Säugetiere einst Walter Poduschka, einer der renommiertesten Igelforscher Europas, der schon vor knapp 50 Jahren an der Akademie der Wissenschaften die Eigenheiten dieses Säugetiers untersuchte. Schon damals sorgte die Klimaerwärmung für tiefgreifende Veränderungen. Die Geschlechtsdrüsen der Igel blieben durch die höheren Temperaturen im Herbst nämlich länger aktiv. Es kam vermehrt zu Zweit- oder Spätwürfen. Diese Jungen fanden und finden aber meist zu wenig Nahrung, um selbstständig überleben zu können. Dazu kommt neben dem schwindenden Lebensraum und fehlendem Fressen ein weiterer Feind: das Auto. Gegen deren Gummireifen und Gewicht ist der Stachelpanzer chancenlos.
Die oft kilometerlangen nächtlichen Streifzüge auf der Suche nach Futter oder einem geeigneten Unterschlupf werden so häufig zu tragischen Todesmärschen. Pro Jahr soll bis zu einer halben Million Igel auf den Straßen, die teilweise die natürlichen Lebensräume der Tiere zerschneiden, umkommen. Nicht die einzige Gefahr. Denn die, die überleben, tun das in kleineren Revieren, in denen der genetische Austausch begrenzt ist, was das Überleben der Art langfristig zusätzlich gefährdet. Dazu kommen Kunstdünger oder Pestizide bis hin zum Schneckenkorn, die für die kleinen Insektenfresser verheerende Folgen haben.
So schmelzen die Bestände der weltweit 26 verschiedenen Igelarten. In Mitteleuropa am weitesten verbreitet ist der Braunbrustigel. Er wird durchschnittlich vier, maximal sieben Jahre alt und wiegt zwischen 400 und 1500 Gramm. Das Sehvermögen der Knopfaugen ist nicht besonders gut ausgeprägt, sie orientieren sich meist am Geruch oder Geräuschen, die sie bis in den Ultraschallbereich wahrnehmen können .Von Mitte November bis März interessiert sie aber weder das eine, noch das andere. Da halten sie Winterschlaf. Dabei werden die Körperfunktionen auf ein Minimum herabgesetzt.
Der Herzschlag verlangsamt sich von 299 auf zwei bis zwölf Schläge pro Minute, die Atemfrequenz von 50 auf 13 Mal pro Minite, die Körpertemperatur sinkt von 36 auf fünf Grad ab. Mit Hilfe ihrer angefressenen Fettreserven überstehen die Tiere diese Ruhephase und können bis zu einem halben Jahr ohne Futter auskommen. Wachen sie dann auf, brennt der Hunger nach Insekten, Würmern, Käfern oder Schmetterlingsraupen. Ihr Schmatzen und Grunzen ist bisweilen gut hörbar, wenn sie sich an Hunde- oder Katzenfutter delektieren. An dieser Stelle kann die Fürsorge des Menschen tödlich enden. Denn Igel gelten zwar als eine der ältesten Säugetierarten der Welt, in ihrem Verdauungsverhalten folgen sie aber einem Phänomen unserer Zeit: Sie sind laktoseintolerant. Fütteraktionen mit Kuhmilch sind daher keine so gute Idee.