Es gibt Menschen, die gern in eine andere Rolle schlüpfen und sich verkleiden. Valerio Bonanno wirkt nicht wie einer von ihnen. Es ist etwas an ihm, das den Eindruck erweckt, er wäre wirklich ein Abkömmling des Deutschen Kaiserreiches. Ist es die auffallende Blässe seines Gesichts, das streng nach hinten gegelte Haar? Die Goldrandbrille mit den runden Gläsern, der gepflegte Schnurrbart und die kerzengerade Haltung? Oder eben doch die Kleidung: der weiße Stehkragen, die Fliege, die Smoking-Jacke mit der bestickten Weste darunter? „Kommen Sie bitte herein“, sagt er. Der ungewöhnlich lange Gang, der von seiner Haustür ins Wohnzimmer führt, wirkt unter diesen Umständen wie ein Zeitkorridor.

Valerio Bonanno ist vielen Instagram-Nutzern ein Begriff. Er hat 160.000 Follower, seine Videos werden nach seinen Angaben bis zu zwölf Millionen Mal abgerufen. Dabei geschieht dort eigentlich nicht viel mehr, als dass sich der 31-Jährige ankleidet. „Get ready with me“ ist das Motto – „mach dich mit mir ausgehfertig“. Am Anfang steht er noch in langer Unterhose da, am Ende ist er dick verpackt in mehrere Schichten, mit einem Sherlock-Holmes-artigen Cape als äußerer Schale. Diese Kleidung ist nicht etwa nachgeschneidert, sondern entstammt original der Zeit um 1900. Verblüffend ist, dass sie weder abgenutzt noch angestaubt aussieht.

Auf dem Wohnzimmertisch, der mit einer Art Teppich bedeckt ist, serviert Bonanno einen Espresso. Das ist nicht unbedingt zeitgemäß, aber seiner italienischen Herkunft geschuldet. Er ist Sizilianer. Erst 2018 ist er für sein Studium erstmals nach Deutschland gekommen, und doch spricht er die Sprache heute fehler- und akzentfrei. Seine besonders artikulierte Sprechweise verstärkt den Eindruck, dass er nicht ins 21. Jahrhundert gehört.

Eine Wohung als Zeitmaschine

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Bonannos Wohnung befindet sich im ersten Stock eines denkmalgeschützten Hauses im Kölner Agnesviertel, das für seine vielen schönen Gründerzeitbauten bekannt ist – eine Seltenheit in der schwer bombardierten Stadt. Bonanno lebt dennoch sehr gern in Köln, er schätzt die Offenheit und Toleranz der Einwohner. Denn, so betont er, im politischen Sinn fühlt er sich absolut nicht mit dem Kaiserreich verbunden. Er sei durch und durch demokratisch und progressiv eingestellt. „Was ich mache, hat nichts Politisches.“ Allerdings findet er: „Auch unser heutiger Lebensstil fußt auf der Ausbeutung von Menschen in anderen Ländern, etwa was unsere Kleidung und unsere Lebensmittel betrifft.“ Von daher gebe es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. „Und in puncto Ästhetik hätte ich auf jeden Fall lieber damals gelebt.“

Obwohl seine Wohnung sehr hohe Decken hat, wirkt sie dunkel. Das liegt zum einen an den schweren Samtvorhängen, die das Tageslicht abschirmen, und zum anderen an den dunkelbraunen Holzmöbeln. Manch einer würde da vielleicht schwermütig, nicht aber er. „Ich mag es, wenn es ein bisschen dunkler und gemütlicher ist“, sagt der promovierte Philosoph. „Zu viel Licht kann auch anstrengend sein für die Augen.“

Die Schränke hängen voller Kleidung, die 100 oder gar 130 Jahre alt ist. „Dieser Kleidungsstil ist wirklich der einzige, der mir an meinem Körper gefällt“, beteuert er. In Jeans und T-Shirt hat er sich nie wohlgefühlt, nur in Outfits wie aus „Downton Abbey“ kann er wirklich er selbst sein. Wenn er zur Arbeit in einer Unternehmensberatung geht, trägt er zwar normale Bürokleidung, Business Casual, weil er nicht weiter auffallen will. Aber sobald er zu Hause ist, schlüpft er in des Kaisers alte Kleider.

Wanderer zwischen den Zeiten

Moderne Hosen findet er viel zu eng geschnitten, die damaligen Hosen fielen weiter aus und wurden mit Gürteln, Bändern, Hosenträgern und Schnallen der jeweiligen Figur angepasst. Eine solche Mode sei viel nachhaltiger, sagt Bonanno: „Man kann die gleiche Hose zehn Jahre lang tragen, weil die Qualität entsprechend ist und weil sie auch dann noch passt, wenn man ein paar Kilo zugelegt hat.“

Die Begeisterung für die damalige Kleidung war zuerst da, als Nächstes kam dann das Verlangen nach den passenden Möbeln. „Eine komplette Einrichtung zusammenzustellen, ist natürlich eine Lebensaufgabe. Das beschäftigt mich jeden Tag.“ Er durchforstet Flohmärkte und Internetplattformen, ständig kommt etwas Neues an. Eine besondere Attraktion ist sein Grammofon von 1917. Es hat einen fantastischen Klang, fast ohne Nebengeräusche. Nach jeder Platte muss man allerdings die Nadel austauschen.

Wenn Bonanno der Stimme lang verblichener italienischer Schlagersänger lauscht, fühlt er eine Verbundenheit mit den Menschen, die dem Grammofon schon vor mehr als 100 Jahren zugehört haben. So ähnlich ergeht es ihm mit allen Gegenständen. Über die Instagram-Videos will er dieses Gefühl weitervermitteln – wie ein Wanderer zwischen den Zeiten.