69° 39′ N , 18° 57′ O, Tromsø, Norwegen: Draußen herrscht noch immer vorwiegend Dunkelheit. Langsam werden die Tage länger. Die meisten der knapp 78.000 Einwohnerinnen und Einwohner lässt das kalt. Nicht nur auf der Temperaturanzeige, die an manchen Tagen auf minus 30 Grad absackt. Die Sonne will mit diesem Wetter nichts zu tun haben. Zwei Monate lang geht sie erst gar nicht auf. Schlafstörungen ja, Müdigkeit ja. Von weit verbreiteter Winterdepression ist hier aber dennoch keine Rede. Wie das Norwegen schafft? „Die Menschen dort sehen den Winter als eine besondere Jahreszeit voller Möglichkeiten zur Freude und Erfüllung und nicht als eine einschränkende Zeit des Jahres, die man fürchten muss“, schrieb Kari Leibowitz in einem Beitrag in „The New York Times“. Die US-Psychologin verbrachte 2014 als Fulbright-Stipendiatin ein Jahr in der nördlichsten Metropole der Welt. Ihre Mission: die Einstellung der Bewohner zu Kälte und Dunkelheit zu erforschen. Was sie dort vorfand, überraschte Leibowitz: besonders glückliche, anstatt depressiver Menschen. Norwegen rangierte 2023 nicht umsonst auf Platz sieben der glücklichsten Länder der Welt. „Meine Untersuchungen haben ergeben, dass diese positive Einstellung zur Winterzeit mit Wohlbefinden, größerer Lebenszufriedenheit und positiveren Emotionen verbunden ist.“ Kurz gesagt: Worauf es ankommt, sei das „Mindset“.
Leben in der freien Natur
Schon während der Corona-Pandemie forderte Kari Leibowitz ihre Landsleute auf, sich ein Beispiel an den Norwegern und ihrem „Friluftsliv“, dem „Leben in der freien Natur“ zu nehmen. Dahinter steckt die Lebensphilosophie einer ganzen Nation, nämlich die Entschlossenheit, unabhängig von Alter, Wetter oder Fitness, das Beste aus dem Aufenthalt draußen herauszuholen – etwas, das nur mit der grundlegend positiven Einstellung gegenüber der Winterzeit möglich sei. In der Weiterentwicklung sieht Leibowitz darin, großes Potenzial für eine gesündere Gesellschaft weltweit. Heuer noch erscheint ihr erstes Buch zum Thema: „How To Winter: Harnessing Your Mindset To Embrace All Seasons of Life (Penguin Random House). Vorab gibt die Psychologin Einblicke in ihre Arbeit und erste Tipps, wie man den Winterblues tanzt, statt darunter zu leiden. Drei Strategien seien grundlegend für eine positive Einstellung zum Winter.
Erstens: Ins Freie gehen! Ganz nach dem Motto: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.“ Einmal draußen würde etwas ganz Magisches passieren. Man fühlt sich robuster, vitaler und gestärkt durch die Elemente. Zweitens: Den Winter zu etwas Besonderem machen. „Als ich an der Küste von New Jersey aufwuchs, konzentrierte ich mich auf die Einschränkungen, die der Winter für mich mit sich brachte: Ich konnte nicht am Strand liegen oder auf der Strandpromenade essen. Aber in Norwegen habe ich gelernt, nach den Möglichkeiten zu suchen, die der Winter bietet“, erklärt Leibowitz. Egal ob drinnen oder draußen: gemütliches Zusammensitzen bei Kerzenschein oder vor dem Kamin, das Innehalten feiern, winterliche Grillpartys auf der Terrasse oder der Gang durch den Wald. Als dritte Strategie nennt Leibowitz, den Winter wertzuschätzen. „Versuchen Sie, den Winter in Ihren Gedanken und in Ihrer Sprache zu schätzen.“ Dabei solle keinesfalls die Realität des Winters geleugnet werden. „Wenn es schneit, ist es genauso wahr, dass Sie vielleicht Ihre Einfahrt schaufeln müssen, wie es wahr ist, dass das Licht diffus und schön ist. Aber es macht einen großen Unterschied, wie Sie den Schneefall erleben, wenn Sie dem einen oder anderen Aspekt mehr Aufmerksamkeit schenken.“