Bei Ihnen wurde im Winter 2016 das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Inwiefern agieren Sie anders im Alltag?
Sarah: Die Interaktion mit Menschen fällt mir schwer. Es bereitet mir Probleme, Gespräche zu initiieren, aufrechtzuerhalten oder auf Menschen zuzugehen. Telefonate sind ein absolutes No-Go. Da funktioniert gar nichts. Mir fällt es schwer, Menschen in die Augen zu sehen, ich gebe mir Mühe, aber mein Blick schweift immer ab. Ich brauche meine Routinen und habe festgefahrene Verhaltensweisen. Zum Beispiel muss ich immer am selben Platz sitzen. Wenn ich mit dem Bus in die Arbeit muss, ist es immer schwierig, weil ich da nie am selben Platz sitzen kann. Kleinigkeiten lösen bei mir einen inneren Konflikt aus. Es geht um simple Dinge, andere setzen sich dann einfach auf einen anderen Platz. Vor der Diagnose habe ich immer geglaubt, dass es meine eigene Schuld ist. Ich habe geglaubt, dass ich mir nicht genug Mühe gegeben habe.
(Hirnforscher zeigt auf: "Autisten spüren nicht zu wenig, sondern zu viel")
Wie haben Sie die Diagnose aufgenommen?
Von den Nach- zu den Vorteilen: Was können Sie sehr gut?
Ich bin detailgetreu und genau. Ich kann gar nicht anders. Ich vertiefe mich in meine Arbeit und lasse nicht los, bis ich die Lösung gefunden habe. Ich versuche immer, dass meine Arbeit gut dokumentiert ist. Ich versuche, alles auszuformulieren. Wo andere einen Satz schreiben, schreibe ich einen Absatz. Es ist nicht so, als wäre das heiße Luft, ich versuche, Informationen nachvollziehbar darzustellen - mit allen Hintergrundinformationen. Ich mache mir viele Gedanken. Das ist, glaube ich, das Wertvollste an meiner Arbeit.Sie arbeiten als Data Analyst bei T-Mobile. Werden Ihre Eigenheiten dort respektiert?
Ja, meine Kollegen wissen, dass ich ein bisschen anders ticke. Sie sehen aber auch, dass ich eine Hilfe bin.
Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Meine Kollegen und ich sind für das Incident-Management zuständig, es geht darum, Fehler in unseren Prozessen zu identifizieren und schnell eine Lösung zu finden oder Aufgaben zu delegieren, damit andere diese lösen können. Meine Arbeit hilft, Prozesse zu optimieren. Ich habe damit eine wichtige Aufgabe.
Sie waren davor bei vielen Bewerbungsgesprächen. Was war in dieser Situation schwierig für Sie?
Ich wirke sehr nervös und ein bisschen verwirrt. Augenkontakt fällt mir sehr schwer. Es gibt oft Momente in denen ich nicht weiß, was ich sagen soll. Mit unerwarteten Fragen kann ich nicht gut umgehen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, dann setzt irgendetwas im Gehirn aus - ich bekomme eine Mini-Panikattacke. Natürlich ist das nicht toll, wenn die Person, die sich vorstellt, mit solchen Situationen nicht umgehen kann. Nach und nach ist es dann immer schwerer geworden, sich aufzuraffen.
Sie wurden zu Hause unterrichtet und haben, um zu maturieren, das Gymnasium besucht. Wie ging es Ihnen an der Uni?
Ich habe Jus studiert, weil ich dachte, dass ich damit einen Job finde, der für mich geeignet ist. Es hat gut funktioniert, weil man anonym war. Ich habe auch Japanologie studiert, weil ich eine japanische Band mag. Wenn ich etwas mag, dann verfolge ich das sehr obsessiv. Japanische Schriftzeichen und Grammatik zu lernen, war kein Problem. Problematisch war es, weil es eine sehr kleine Gruppe war. Das war unschön für mich.
Wie geht es Ihnen nun im Team?
Ich bin fast zwei Jahre über den Verein „Specialisterne“ bei T-Mobile und werde jetzt offiziell übernommen, alle freuen sich darüber. Ich glaube, ich bin mittlerweile ein Teil des Teams. Natürlich habe ich immer wieder auch Phasen, wo ich nicht weiß wie ich die Person ansprechen soll und dann doch lieber eine E-Mail schreibe, obwohl die Person gleich neben mir sitzt. Es ist schon so, dass ich sehr oft den schriftlichen Kommunikationsweg wähle. Meine Kollegen wissen mittlerweile, worüber ich mir Gedanken und Sorgen mache und geben mir Sicherheit. Das ist wirklich sehr schön.