Nein, mit dem TV-"Bergdoktor" Hans Sigl hat dieser Film nichts zu tun. "Bei Tag und bei Nacht - Aus dem Leben eines Bergdoktors" ist das sehr menschliche Porträt des Kärntner Landarztes Dr. Martin Guttner, inszeniert von dessen Bruder, dem Dokumentarfilmer Hans Andreas Guttner. Ab Freitag kommt der Film, der zugleich die verschwindende Lebenswelt der Bergbauern einfängt, in unsere Kinos.
Im Mittelpunkt steht die Arztpraxis in Oberdrauburg, rundherum liegen die Berge der Gailtaler Alpen und Lienzer Dolomiten. Ein Jahr lang hat der gebürtige Niederösterreicher Guttner seinen Bruder bei der Arbeit begleitet sowie die Menschen in der Region, allen voran die Bergbauern, beobachtet. Er fing ein, was so nicht mehr allzu lange bestehen wird, mangelt es doch bei beiden zeitraubenden und wenig lukrativen Berufen an Nachwuchs. Die Herausforderungen ob der Landflucht und der fehlenden Infrastruktur in ländlichen Gebieten schwingt in "Bei Tag und bei Nacht" stets mit, gibt dem Film einen melancholischen Unterton - nicht zuletzt, weil sich die jahrzehntelange, schwere körperliche Arbeit bei den Älteren gesundheitlich bemerkbar macht.
Nicht zuletzt deshalb genießt Martin Guttner eine Sonderstellung in "seinem" Ort. Vor allem für seine ältesten Patienten, die er zuhause besucht, ist er Gesprächspartner und Schmähführer; als Dank gibt es schon mal Kuchen, Kasnudeln oder Schnaps - und Nein sagen ist nicht drin. Die Kamera zeigt ihn bei ebendiesen Hausbesuchen, in seiner Praxis sowie bei zig Autofahrten über teils eingeschneite, kurvige Bergstraßen; in der Off-Erzählung spricht er nüchtern von schlimmen Erlebnissen, die sein Beruf mit sich bringt. Doch auch ob der Tatsache, dass er am Weg zu einer Unfallstelle einst selbst einen schweren Unfall hatte, behält er seinen Humor: Damals sei bei ihm zuhause angerufen worden, "es werde ein Arzt benötigt". Wenig später der Folgeanruf: "Ist nicht nötig, der Arzt ist selbst das Unfallopfer."
Ungebrochener Optimismus
Auf Kommentare und Texttafeln wird verzichtet, stattdessen lesen zwischendurch die Kinder der örtlichen Schule Fakten zur Region vor. Die im Film teils wiederkehrenden Patienten sorgen für die besten Momente, schließt man sie doch in all ihrer Bodenständigkeit und ihrem ungebrochenen Optimismus rasch ins Herz. So sitzt eine ältere Dame mit eingegipstem Arm stundenlang am Fenster, um mit ihrem Fernglas ins Tal zu blicken. "Das ist mein Fernsehen", sagt sie, "irgendwas sieht man immer." Regisseur Guttner zeigt dann auch über den Verlauf von vier Jahreszeiten, was da so alles zu sehen ist: Vor atemberaubenden Panoramaaufnahmen fängt er Menschen bei der Feldarbeit, Viehzucht, Schnapsbrennerei, Schlachtung, Holzfällerei, Kasnudel-Herstellung oder der Kartoffelernte ein; aber auch jene traditionellen Elemente, auf die man heute gut verzichten kann, rückt er ins Bild: den absurd-brutalen Krampuslauf etwa.
Mit beinahe zwei Stunden ist das definitiv zu lange geraten, je nach Situation kommt der Film auch schon mal ins Stocken, wirkt statisch. Letzten Endes funktioniert "Bei Tag und bei Nacht" als Würdigung seines sehr sympathischen Protagonisten, als mitfühlendes Porträt der Oberdrauburger und als fast meditatives Werk einer Städtern so fernen Welt. Wer weiß, vielleicht taugt der Film ja auch als Bauern- und Landarzt-Rekrutierung.