Sie zogen 1991 nach dem Sturz Ceausescus' mit Ihren Eltern nach Deutschland. Sind Sie nun ein waschechter Bayer oder spüren Sie noch das Banat in sich?
VALER SABADUS: Man entwickelt als Fünfjähriger mehr Bewusstsein, als man glaubt. Ich bin in meiner Familie mit Ungarisch, Rumänisch, Deutsch, teils auch mit Serbisch aufgewachsen. Der gleichwertige Umgang mit der Sprache war bei uns ein Zeichen von Toleranz und ist es für mich auch geblieben. Darum mag ich die Worte wie Assimilierung und Emigration nicht, sie haben für mich eine seltsame Konnotation. Zunächst in Westfalen gelandet, siedelten wir bald nach Bayern, weil meine Mutter eine Stelle an einer Musikschule bekam. Die deutsche Sprache und Kultur waren also nichts Neues für mich.
Als Kind lernt man Klavier oder Geige spielen, wie ja Sie auch, aber wohl kein junger Mensch sagt: "So, und ich will jetzt Countertenor werden." Bei Ihnen machte es dennoch schon mit 17 klick. Warum?
SABADUS: Ich sang im Schulchor und während des Stimmbruchs gab es keinen großen Registerwechsel. Mit meiner Mutter bin ich damals zu einem Konzert von Andreas Scholl gegangen, und sie war ganz von der Rolle, als ich ihn danach imitierte: "Seit wann kannst du das?" Nun, ich hatte unter der Dusche schon ewig in höchsten Tönen gesungen und auch im Oberstufenchor die Frauenstimmen mitfalsettiert. Für mich war das nur natürlich.
Viele gute Countertenöre wachsen aus Chören heraus, oder?
SABADUS: Ja, denn Knabenchöre stärken die Basis und die Stimme bleibt im Ansatz ähnlich. Zunächst geht es darum, die Diskrepanz zu leben, quasi eine Engelsstimme in einem nun männlichen Körper zu haben. Und im Studium ist es wichtig, die richtige Technik zu erfahren, Volumen zu gewinnen, sich Zeit zu lassen.
Sie zog es nicht in ein Mekka der Alten Musik wie Basel, sondern Sie blieben in München. Weshalb?
SABADUS: Zunächst, weil ich grün hinter den Ohren war und gar nichts von den ersten Adressen wie Basel, Köln oder Den Haag wusste. Zudem wollte ich in der Nähe meiner Familie bleiben, die ist mir als Refugium heute noch wichtig. Und dann fand ich eine ideale Lehrerin: Gabriele Fuchs, die übrigens ihre Bühnenkarriere am Opernhaus in Graz begann, ist gar nicht vom Barockfach, aber heute noch meine erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, neue Rollen zu studieren, Tücken von Partien zu überwinden oder weiter an der Technik zu feilen. Wichtig für mich war aber immer auch Learning by Doing mit guten Ensembles und Dirigenten.
So wie mit Michael Hofstetter, dem Chef des Grazer Orchesters "recreation", mit dem Sie schon oft zusammengearbeitet haben und nun bei der styriarte auch wieder Glucks "Orfeo ed Euridice" singen?
SABADUS: Genau. Das erste Projekt mit ihm war 2009 noch an der Musikhochschule in München. Mittlerweile gibt es so viel Vertrautheit, Einklang, Inspiration - einfach dieselbe Wellenlänge.
Mit "recreation Barock" singen Sie die extra für den Soprankastraten Millico transponierte "Parma-Fassung"von Glucks Oper. Was bedeutet denn das für Sie, außer dass es noch höher hinaufgeht?
SABADUS: Im Gegensatz zur eher pathetischen "Wiener Fassung" oder der ein bisschen kitschigen romantischen Version ist die Instrumentierung hier viel schlanker. Alles wirkt konziser, man kann mehr mit dem Klang experimentieren, ins Detail gehen und mit der Dramaturgie spielen.
Früher waren Countertenöre ja fast "Außerirdische" in der Branche, heute gibt es einen Boom. Wie findet man da seinen eigenen Stil?
SABADUS: Es gibt tatsächlich schon mehr gute Countertenöre als gute Wagner-Heldentenöre. Wir sind ja bereits die vierte Generation nach den Pionieren Alfred Deller oder Russell Oberlin. Allerdings ist der Bonus der Sensation längst weg, und keiner, der bloß herumfistelt, macht mehr Karriere. Die Szene ist kompetitiver, darum braucht es intensivstes Training wie für jede andere Stimmlage auch. Mein Motto lautet jedenfalls: Alles schön langsam angehen, um das Repertoire und damit den Horizont zu erweitern. Meine Stärken sind, glaube ich, dass ich mich auf der Bühne sehr gut in Rollen und Situationen hineinversetzen kann, empathisch und emotionell bin.
Welche Art von Musik hören Sie eigentlich privat?
SABADUS: Jedenfalls keine Opern. Ich liebe Britpop, am besten live. Jazz, etwa Chick Corea und Bobby McFerrin. Oder Fado, die portugiesische Leidensmusik, geht mir immer unter die Haut. Queen-Sänger Freddy Mercury mag ich auch, der war ja schon vor 30 Jahren quasi eine Conchita Wurst - in Hausfrauenlook mit Staubsauger.
Androgynität ist längst nicht mehr auf Counter beschränkt.
SABADUS: Die Gesellschaft hat sich diesbezüglich sehr verändert, bei den Geschlechterrollen rückt alles mehr ins Zentrum: Frauen werden männlicher, Männer weiblicher. Viele wollen aus der Masse heraustreten und spielen Rollen - so wie eure Conchita Wurst. Sie macht das übrigens sehr spannend und stimmig: ein Phönix, der Träume hat und Wunden heilen will. Und so viel Unterschied zu uns ist da nicht: Wir Countertenöre singen ja auch hoch und haben Bärte (lacht).
INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA