Szenario einer fernen Zukunft: Ein Textprogramm verfasst für ein Nachrichtenmedium einen leidenschaftlichen Leitartikel über die Notwendigkeit staatlicher Investitionen in Technologien mit Künstliche Intelligenz (KI). Beißt sich da eine auf Leiterplatten basierende Katze in den Schwanz? Strategisches Lobbying der Künstlichen Intelligenz für die eigene Sache? Technologisch und institutionell sind Redaktionen von dieser Qualität journalistischer Algorithmen noch unabsehbar weit entfernt.

Intelligenz ist bei den österreichischen Medienmachern noch fast ausschließlich durchblutet und nicht elektrifiziert. In anderen Ländern und Erdteilen sind Entwicklung und Akzeptanz weiter: So soll bereits ein Drittel der Berichte von Bloomberg News von ihrem „Cyborg“ genannten automatischen System (mit)verfasst sein. Sobald Finanzdaten veröffentlich werden, extrahiert „Cyborg“ die relevantesten zu einem Artikel. Im Geschwindigkeitsrennen der Finanzwelt ist diese Eile goldwert.

Nicht immer hält der Inhalt, was das sexy-Etikett der „künstlichen Intelligenz“ verspricht. Das gilt auch für den Journalismus. Tatsächlich erfüllen die gerne als Roboterjournalisten bezeichnete KIs häufig nicht die Bedingungen, um als klug bezeichnet zu werden. Das weiß auch Katharina Schell, Mitglied der Chefredaktion der Austria Presse Agentur (APA) und dort für digitale Innovationen zuständig: „Wenn derzeit von KI-Journalismus geredet wird, ist das zu 99 Prozent falsch. Ich persönlich verstehe unter künstlicher Intelligenz einen Algorithmus, der aus eigener Kraft auf etwas draufkommt.“

Hauptsächlich Lückentexte

Der Mehrwert des maschinellen Lernens auf Basis künstlicher neuronaler Netzwerke ist häufig noch Zukunftsmusik. Ein Großteil der heute genutzten Systeme sind allenfalls KI-gestützte Lückentexte. „Schwache künstliche Intelligenz gibt es. Starke künstliche Intelligenz wird wohl erst in den nächsten Dekaden kommen“, prognostiziert Retresco-Chef Alexander Siebert gegenüber dem Medienwissenschaftler Stefan Weber. Das Berliner Unternehmen Retresco ist eines der führenden Unternehmen der Branche.

Kommen Textalgorithmen in Redaktionen journalistisch zur Anwendung, ist ein ausgeprägtes Datenreservoir Voraussetzung für Erfolg, weshalb sich beim aktuellen technologischen Stand insbesondere die Bereiche Wirtschaft, Sport und Wetter für KI-Verwertungen eignen. Das Prinzip: Die zu verwendenden Daten werden definiert und in vorgegebene Sätze eingefügt. Was simpel klingt, ist in der Praxis aufwendig und wird durch die grammatische Komplexität der deutschen Sprache zusätzlich erschwert. Zugleich sind die Möglichkeiten nach oben offen, erklärt Schell: „Je mehr Zeit man investiert, desto mehr solcher Entscheidungen pro Text trifft das Programm.“ Damit gehen neue Anforderungen an Redakteure einher: Neben grammatikalischer Affinität und einer angepassten Erzählweise braucht es Grundverständnis für das Programmieren.

Testfall Europawahl

Die Anwendungsmöglichkeiten im Rahmen politischer Wahlen zeigte die APA bei der EU-Wahl am vergangenen Sonntag: Die Wahldaten aller 2096 österreichischer Gemeinden wurden in eine variantenreiche Textform gebracht und waren online auch unter kleinezeitung.at abrufbar. Ein hierzulande in dieser Größenordnung einzigartiges Pilotprojekt, das die Stärken automatisierter Textgenerierung zeigt: Hyperlokale Berichte, in Sekundenschnelle generiert, die es ohne Automatisierung in dieser Form nur mit sehr großen Personalressourcenaufwand geben hätte können.

Ängste oder Hoffnungen, Künstliche Intelligenz könnte kreative, recherchierende und selektierende Journalisten aus Fleisch und Blut ersetzen, hält Schell für unbegründet: „Dass im Journalismus durch Automatisierung etwas einzusparen ist, sehe ich derzeit nicht.“ Stattdessen entstünden in der Berichterstattung Möglichkeiten, Inhalte verständlicher, individueller und anschaulicher zu vermitteln: „Der Hauptjob von Journalisten ist nach wie vor, zu erzählen, einzuordnen und Kontext herzustellen. Das kann man natürlich mit solchen Strategien besser, als wenn man nur die Daten zur Verfügung stellt.“

Auch deswegen wird weltweit auf automatisierte KI-Lösungen gesetzt. Die Schweizer Tamedia setzt auf „Tobi“, während Forbes den Reportern von „Bertie“ erste Entwürfe und Vorlagen für ihre Artikel liefern lässt. Die Washington Post hat ein KI-Reporter namens „Heliograf“ in Verwendung, der bereits mit einem, wenn man so will, journalistischen Preis ausgezeichnet wurde: Den „Excellent in Use of Bots“ gab es für die Berichterstattung über die US-Wahlen 2016. Und die LA Times nutzen ihr Textprogramm für Berichte über Kriminalfälle und Erdbeben.