Am 15. November bekam Literaturnobelpreisträger Peter Handke das „Große Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark mit dem Stern“ verliehen, im Kleine-Zeitung-Interview am Sonntag darauf sprach er ausführlich über die Bedeutung von Graz als Startrampe für seine Karriere. Bezüglich der aktuellen Literaturszene reagierte Handke eher verhalten und sprach von Selbstdarstellung (siehe Zitat). Stimmt dieser Vorwurf der Egozentrik? Wir haben drei Personen, die eng mit der Grazer Literaturszene verbunden sind, dazu befragt.
Annette Knoch
Annette Knoch leitet seit 2003 den Literaturverlag Droschl, der 1978 von ihrem Vater Max Droschl gegründet wurde und in dem Autoren wie Wolfgang Bauer, Gerhard Roth, Klaus Hoffer, Reinhard P. Gruber und viele andere erschienen sind. Und heute? Knoch: „Wir haben in diesem Jahr Bücher der Grazer Autor*innen Helwig Brunner, Florian Dietmaier, Christoph Dolgan, Nava Ebrahimi und Max Oravin veröffentlicht – und sie alle haben in ihren Büchern etwas mitzuteilen, etwas zu ,geben‘, wie Handke sich ausdrückt. Ihre Bücher, also ihre Produkte, auf ein ,Sich-Selbst-Darstellen‘ zu reduzieren, ist schlicht falsch.“ Knoch wirft auch ein, dass Verallgemeinerungen wie „so war es früher“ versus „so ist es heute“ immer zum Widerstand anregen – und das zurecht. „Selbstverständlich waren Wolfgang Bauer, Werner Schwab & Co auch herrliche Selbstdarsteller, die zum Glück ihre unkonventionelle Art zu leben auch öffentlich zeigten und für frischen Wind in Graz sorgten.“ Und abschließend: „Handke schreibt von seinem Wahrnehmen, seinem Spüren – die Frage stellt sich: wen nimmt Handke wahr und wen nicht – und was sind seine Informationskanäle? Ich nehme Graz als literarisch sehr lebendige Stadt wahr.“
Klaus Kastberger
Klaus Kastberger ist Leiter des Literaturhauses Graz und auch er widerspricht dem Handke‘schen Diktum: „Es war keine Zeitungsente, als die Kleine Zeitung Anfang Juli 2021 getitelt hat: ,Graz ist Hauptstadt der Literatur‘. Damals hatte Nava Ebrahimi gerade den Bachmannpreis und Clemens J. Setz den Büchner-Preis nach Graz geholt. Erstaunlich ist, wie lange dieser einzigartige Höhenweg des Schreibens in dieser Stadt nunmehr schon geht. Denn vom wilden Genieeckendasein der 60er-Jahre führt ja ein direkter Pfad zu den Highlights der Gegenwart.“ Kastberger bezeichnet Graz als eine der lebendigsten Literatur-Städte des gesamten deutschsprachigen Raumes. „Jeder, der Ohren hat, vermag die vielfältigen Stimmen dieses ungemein dichten literarischen Produktionsraumes mühelos zu vernehmen. Es tönt laut und weit aus den Schreibstuben der Stadt und gerade auch in den letzten Jahrzehnten sind aus der ganzen Welt gewichtige Dichterinnen und Dichter in die Stadt gekommen.“ Auch das Interesse an Literatur sei in Graz besonders ausgeprägt, so Kastberger. „Allein die Zahlen aus dem Literaturhaus sprechen eine deutliche Sprache. Mit mehr als 10.000 Besucherinnen und Besuchern erwarten wir auch heuer wieder einen Rekord.“
Andreas Unterweger
In der Literaturzeitschrift „manuskripte“ hat Peter Handke Anfang der 60er-Jahre seine ersten Texte veröffentlicht. Seit dem Tod von Alfred Kolleritsch ist Andreas Unterweger Herausgeber. „So, wie die Bemerkung im Interview dasteht, überrascht sie mich jedenfalls. Schließlich hat sich Peter Handke im Gespräch mir gegenüber auch schon ganz anders geäußert.“ Unterweger versucht aber, der Kritik etwas Positives abzugewinnen. „Widerspruch kann auch jenen Funken des Gegensatzes bedeuten, an dem sich die Poesie entzündet. In dieser Art Licht betrachtet verblassen Oberflächlichkeiten wie die Marketingmaßnahmen, zu denen Verlage und Schreibende sich heute häufig gezwungen fühlen. Und dann lässt sich schon erkennen, dass in der gegenwärtigen Grazer Literatur gar nicht so wenige am Werk sind, die nicht nur ,geben wollen‘, sondern auch tatsächlich alles geben.“