„Wenn mir jemand seine Gedanken mitteilt, habe ich manchmal ehrlich gesagt das Gefühl, dass jeder Mensch auf seinem eigenen Planeten lebt.“ Sagt Gail, Lehrerin, um die 60 Jahre alt. Obwohl sie damit recht hat, wird ihr immer wieder nachgesagt, dass soziale Interaktion nicht ihre große Stärke sei. Verheiratet war Gail mit Max, aber auch diese Interaktion ist längst vorbei. Als Tochter Debbie heiratet, zieht Max aber kurzfristig bei Gail ein. Der Grund: Eine Katzenhaarallergie. Aber das zu erklären würde zu weit führen.
Das ist die Grundkonstellation von Anne Tylers neuem Roman „Drei Tage im Juni“, in dem die vielfach ausgezeichnete US-Schriftstellerin um diese Hochzeit kreist. Doch auf dem Weg zum Altar liegen einige Stolpersteine. Tyler ist die sanfte Chronistin des amerikanischen Mittelstandes. Aber es geht ihr nicht um die großen Krisen, Katastrophen, Um- und Zusammenbrüche, sondern um die kleinen Verletzungen und Verwerfungen, die man erleidet, wegsteckt und dann wieder weitermacht. Immer weiter.
Ein großer Brocken wäre da allerdings schon in dieser Geschichte: Die Frage, ob der Bräutigam in der Nacht vor der Hochzeit die Braut betrogen hat. Darüber, wie man damit umgeht, sind sich Gail und Max natürlich völlig uneins. Gail bohrt immer wieder nach, Max will die Sache auf sich beruhen lassen. „Geht uns nichts mehr an als Eltern.“
In „Drei Tage im Juni“ blitzen die Qualitäten von Tyler wieder auf, ohne dass der Lesende davon geblendet ist. In aller Bescheidenheit, lebensklug und mit leisem, aber bestimmten Ton beschreibt die 83 Jahre alte Autorin das scheinbar Unscheinbare, in dem oft das Wesentliche enthalten ist. Man muss nur genau hinsehen und hinspüren.
Wie sich das Ex-Ehepaar Gail und Max aneinander reibt, alte Scharmützel wieder aufleben, aber doch beide spüren, dass da noch immer eine Verbindung besteht, diese zarte Annäherung beschreibt Tyler mit viel Empathie, aber auch Humor, ohne dass sie je in den Gefühlskitsch abgleitet. Durchzogen ist dieser Roman von einer stillen Melancholie. Denn es geht auch darum, was das Leben noch bereithält, wenn es bereits zu gut zwei Drittel gelebt wurde.
Anne Tyler. Drei Tage im Juni. Kein & Aber, 205 Seiten, 24,50 Euro.