Peinliche Wehleidigkeit oder genialer Marketing-Trick? Der deutsche Schriftsteller Clemens Meyer hat bekanntlich ziemlich wüst die Jury beschimpft, dass nicht er für seinen Roman „Die Projektoren“ den diesjährigen Deutschen Buchpreis verliehen bekam, sondern seine Kollegin Monika Hefter für das Buch „Guten Morgen, wie geht es dir?“ Meyers Reaktion ist durchaus fragwürdig, sein monumentales Werk, an dem er fast zehn Jahre lang gearbeitet hat, aber hochgradig preiswürdig.

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser mächtige Brocken, 1041 Seiten dick ohne Anhang, ist eine Herausforderung, streckenweise sogar eine Zumutung - allerdings eine grandiose. Man muss als Lesender schon sehr furchtlos sein, um sich auf dieses sperrige, störrische, böse Biest einzulassen. Aber Literatur darf ruhig einmal zwicken, ziehen, zornig machen, schwer im Magen liegen und nicht so leicht runterflutschen wie so manche autofiktionale Dutzendware.

Und Dutzendware ist dieses Ungetüm, das man erst zähmen muss, wahrlich keine. Bereits am Versuch, auch nur ansatzweise eine Inhaltsangabe wiederzugeben, scheitert man kläglich. Meyer hat einen vielschichtigen, durch Zeit und Raum mäandernden Montageroman in die Karstlandschaft gesetzt. Am ehesten kann man „Die Projektoren“ als fantastisch irrlichternde Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts lesen; als blutige, eitrige, giftige, überschäumende Fieberfantasie, die im Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien beginnt und bis ins Ostdeutschland der 90er-Jahre führt. Dazwischen: Epochenbrüche, mehrfach durch Faschismus, Sozialismus oder Kapitalismus deformierte Menschenfiguren; Soldaten, Partisanen, Neo-Nazis, Indianer, Cowboys – und (Dr.) Karl May bzw. dessen fiktiv-literarischer Kosmos als Unterfutter.

Gleich im Eröffnungskapitel führt ein Amerikaner mit dem Leiter einer Irrenanstalt einen Dialog. „Ich bewundere Ihre Anstalt, Herr Doktor, wie Sie versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen“, sagt der Amerikaner. Der Doktor antwortet: „Ach, wissen Sie, wir folgen hier so vielen Stimmen, dass wir uns häufig selbst verlieren.“ Auch in diesem vielstimmigen Roman verirrt man sich oft. Was für ein rauschhafter Wahn, was für eine unbändige Wortflut, was für ein in den Himmel ragendes Ideengebäude! Man flucht über dieses Buch, ächzt, stöhnt, aber vor allem staunt man immer wieder freudig erregt darüber, wozu Literatur fähig ist.

Clemens Meyer. Die Projektoren. S. Fischer, 1041 Seiten, 37,95 Euro.

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