Unter der Goldkuppel der Markus-Basilika erklang das „Stabat“ der Komponistin Lisa Streich - ohne Text, umso eindringlicher wie das Leiden Mariens unter dem Gekreuzigten. Die Aufführung der Komposition, vom Chor Capella Marciana auch noch in Vergleich gesetzt mit den vor über 400 Jahren komponierten Stabat Mater von Giovanni Croce sowie Giovanni da Palestrina, war einer der abschließenden Höhepunkte der Biennale Musica 2024. Dabei stand das 68. Internationale Festival Zeitgenössischer Musik in Venedig mit dem Thema „Absolute Music“ auch im Zeichen österreichischer Welturaufführungen. So hatte am Abend zuvor im Arsenale Georg Vogel das Publikum auf seine außergewöhnliche 60-minütige Improvisationsreise „Claviton Solo“ begeisternd mitgenommen.
Mit seinem selbst gebauten E-Claviton A159 mit einer in je 31 Intervalle unterteilten Fünf-Oktaven-Tastatur sieht Vogel „noch nie dagewesene tonale und klangliche Möglichkeiten. Man hat den Klang im Kopf, aber die Finger müssen fast alle Sätze von Anfang an Schritt für Schritt neu lernen“. Während über der Lagune der Sturm tobte, entführte Clavitonist Vogel die geforderten Zuhörer an entfernteste Hörhorizonte. Grandiose Annäherung an den von Biennale-Musica-Direktorin Lucia Ronchetti im Festival-Titel erhobenen Anspruch: Absolute Musik. Von seiner extrem komplexen Improvisation sah sie „den Kontrapunkt zum Geist der venezianischen Schule des 16. Jahrhunderts in Schönheit herausgearbeitet.“
Graz als Impulsgeberin
Die Einladung Vogels zur Biennale Musica habe „auf Anregung von Ute Pinter“ erfolgt, der Generalsekretärin des Impuls Festival sowie Ensemble- und Komponistinnen- Akademie in Graz, bei dessen 14. Auflage vom 18. bis 25. Februar 2025 die Biennale-Direktorin Ronchetti zum wiederholten Mal ebenso mitwirkend präsent sein wird, wie die eingangs erwähnte schwedische Komponistin Lisa Streich und wie die diesjährige Gewinnerin des Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk, Rebecca Saunders. Der britischen Komponistin, die in Berlin lebt, war die mitreißende Eröffnungsaufführung ihrer Komposition Wounds im Teatro La Fenice gewidmet, mit dem Fenice-Orchester und dem in Berlin beheimateten, international besetzten Ensemble Modern, das mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde. Eine weitere Aufführung des Ensemble Modern der Saunders-Komposition „Skull“ im Arsenale wurde vom Publikum ebenso mit Standing Ovations quittiert.
„Für mich waren der Kontakt mit Ute Pinter und ihre aufgeklärte Vision, die ich in Graz während ihres Megaprojekts Impuls traf, sehr wichtig. Während meiner Teilnahme an den 2023-Seminaren habe ich viel gelernt“, lässt Ronchetti im Gespräch mit der Kleinen Zeitung wirkkräftigen Einfluss aus Graz in Venedig durchblicken. „Die österreichische Musik hat eine große und tiefe Tradition der spekulativen und außerordentlich raffinierten und ausdrucksstarken Instrumentalmusik“, würdigt die Biennale-Direktorin, die nach 16 Tagen mit 95 Prozent Auslastung, drei Prozent gestiegenem Ticket-Verkauf und über 3200 teilnehmenden Musikschülern und -studierenden positive Bilanz zieht.
Ein solches österreichisches Highlight war „Konzert“ für Violine und Orchester des Komponisten Beat Furrer, welches das WDR Orchester zur italienischen Erstaufführung brachte. Den Schlusspunkt setzte die Welturaufführung eines Biennale-Auftragswerke für zwei Violen da gamba der Komponistin und Gambistin Eva Reiter im Salone Sansoviano. Im Biennale College Musica war aus Österreich das Kandinsky Quartett (Hannah Kandinsky, Violine, Israel Gutiérrez, Violine, Ignazio Alayza, Viola, Antonio Gervilla Díaz, Cello) vertreten. Adolf Winkler
Adolf Winkler