Zwei Termine sind alle Jahre wieder die gefragtesten im Wiener Kulturherbst: die Eröffnungsgala der Viennale im Gartenbaukino mitsamt anschließendem Empfang im Wiener Rathaus sowie der für Cineastinnen und Cineasten entscheidendere Termin: der Start des Ticketverkaufs am Samstag davor. Wer die Online-Warteliste bezwungen hat, dem öffnet sich im Programm das Fenster in die Kinowelt – die gegenwärtige und die vergangene.
Die Eröffnung enthielt – knapp drei Wochen nach der Nationalratswahl – politische Töne: „Gott sei Dank gibt es Wien und Gott sei Dank tickt dieses Wien anders“, betonte Wiens Kulturstadträtin Kaup-Hasler. Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler wiederum appellierte an die Politik, die Finanzierung des „Hochamt Films“ sicherzustellen. Denn dieser sei ein Medium, das dem Rechtsextremismus entgegenwirke, mehr noch „ein Bollwerk für Menschlichkeit“. Andererseits mahnte er, dass sich die Politik inhaltlich nicht einmischen dürfe: „Auch im Laufe der Regierungsverhandlungen – die ja erst beginnen – wird es darum gehen, die Freiheit der Kunst zu verteidigen“, betonte er. Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi erinnerte gerade jetzt an die Dringlichkeit, zusammenzuhalten. „Ich glaube, dass es jetzt wichtiger denn je ist, Diversität anzuerkennen“, sagte sie. Und Haltung zu zeigen. Ihr Programm, das auch auf die Kriege und Krisen der Gegenwart hinschaue, zeugt davon.
Der Eröffnungsfilm selbst fiel heuer knappest mit 42 Minuten aus: Die rätselhafte, essaysistische Autobiografie „C‘est pas moi“ (“It‘s not Me“) basiert auf einer gescheiterten Ausstellung im Paris Centre Pompidou. Das Museum fragte den französischen Regisseur Leos Carax: Wo sind Sie? Er antwortete mit einem sinnlichen, filmhistorischen und kurzweiligen Reigen voller Referenzen, Anekdoten und Assoziationen darauf. Höchst vergnüglich. Der Film, so Sangiorgi, sei verknüpft mit einem „zutiefst politischen, forschenden Kino“, das die Form des Filmemachens reflektiere.
Die 62. Viennale wartet mit rund 200 Filmen in fünf Wiener Festivalkinos auf und zeigt nebst preisgekröntem Festivalkino, historischen Regiehandschriften und aufregendem heimischen Kino heuer auch viele US-Indiefilme wie etwa Jesse Eisenbergs „A Real Pain“, in dem sich zwei konträre Cousins (Eisenberg und „Succession“-Star Kieran Culkin) mit jüdischen Wurzeln mit einer Reisegruppe auf die schmerzvolle Reise ihrer Großmutter, einer Holocaust-Überlebenden, ins gar nicht pittoreske Polen begeben. Klug und situationskomisch erzählt, scharfsinnig beobachtet und toll gespielt. Und Filmemacher Joshua Oppenheimer (“The Look of Silence“) beehrt die Viennale sogar, um über seinen schrägen, postapokalyptischen Musicalfilm zu sprechen, in dem sich eine Familie in einem Bunker eingeschlossen hat und 25 Jahre abseits der Realität versucht, diese mit Ritualen aufrecht zu erhalten – mit Tilda Swinton und Michael Shannon.
Wer keine Karten mehr ergattert hat, kann sich eine halbe Stunde vor Filmstart für Resttickets anstellen. Oder für eine der Veranstaltungen im Festivalzentrum Zentralino im 2. Stock des Metro Kinokulturhauses für Gespräche, einen Drink oder eine Diskussion einchecken. Dass die Filmbranche auch gut feiern kann, davon kann man sich an diesen drei Locations überzeugen: Opera Club, Praterstraße und Flex.