Dieser Film ist so weit weg von der üblichen Kinoromanze, wie es nur geht. Die Geschichte dreht sich um eine unwahrscheinliche Liebe mit Ablaufdatum, die mehr als eine Komplikation enthält. Denn erwachsene Liebende tragen ihr kompliziertes Leben mit sich und finden sich trotz oder wegen ihrer Ecken und Kanten. Ganz besonders diese beiden Hauptfiguren: Sylvia ist Behindertenbetreuerin und alleinerziehende Mutter einer Teenagerin in New York. Eines Abends nach einem Klassentreffen hat sie eine seltsam-bedrohliche Begegnung mit Saul.

Wie sich herausstellt, leidet der reiche Mann an Demenz in einem frühen Stadium. Als Sylvia von seiner Familie als Betreuerin engagiert wird, kommen sich die beiden näher. Sauls Krankheit lässt sich aber nicht mit Gefühlen heilen. Und auch Sylvia sieht sich mit den Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, die sich in einem dramatischen Höhepunkt nicht mehr aufhalten lassen. Die Erinnerung, die gewaltvoll verdrängte und die langsam verloren gehende, wird für die beiden Figuren zum unausweichlichen Angelpunkt.

Der mexikanische Regisseur Michel Franco ist nicht gerade für Wohlfühl-Filme bekannt. Zuletzt inszenierte er in „New Order“ den Ausnahmezustand in Mexiko City und schickte in „Sundown“ den desillusionierten Tim Roth an den Strand von Acapulco. In seinem ersten US-Film seit dem heftigen Sterbedrama „Chronic“ aus dem Jahr 2015 erzählt er nun aber erstaunlich hoffnungsvoll. Gerade in der Annäherung ohne Zukunft können sich die Figuren von der Vergangenheit befreien und sich auf das Jetzt konzentrieren.

Diese ungewöhnliche Situation gibt sowohl dem Demenz-Drama als auch der Romanze eine wohltuende, zurückhaltende Frische. Trotz der heftigen Themen, die Autor und Regisseur Franco in diesem starken, zuweilen etwas erratisch aufgebauten Drehbuch zusammenmixt, liegt eine faszinierend positive Stimmung über dem Film. Das liegt neben dem sonnigen New Yorker Setting nicht zuletzt am sympathischen Spiel der beiden Hauptdarstellenden Jessica Chastain und Peter Sarsgaard, die die emotionale Tiefe und Leichtigkeit ihrer menschlichen Figuren perfekt ausbalancieren. Sarsgaard erhielt dafür den Schauspielpreis der Filmfestspiele von Venedig 2023. Jessica Chastain spielt auch in Francos nächstem Film wieder die Hauptrolle. Mit „Memory“ ist Michel Franco ein emotional aufwühlendes, ehrliches Indie-Drama ohne Klischee und Kitsch gelungen. ●●●●○