Die Story ist eigentlich schon auserzählt. Es ist die Geschichte eines einflussreichen Produzenten aus der Unterhaltungsbranche, über den hinter vorgehaltener Hand seit Jahren Übelstes zu hören ist: Berichte von Machtmissbrauch, sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung, von Schweigegeld und eingeschüchterten Opfern. Sind die Vorwürfe endlich zu zahlreich und zu stichhaltig, um weiter vertuscht werden zu können, zeigt sich ein enormes Verbrechensausmaß. So geschehen im Skandal um Filmmogul Harvey Weinstein, der anno 2017 Hollywood erschütterte und die weltweite MeToo-Bewegung in Gang setzte.
Pop-Business vor Erweckungsmoment
Sieben Jahre danach steht nun offenbar das Pop-Business vor seinem längst überfälligen MeToo-Erweckungsmoment. Seit Mitte September sitzt in einem Brooklyner Gefängnis der Hip Hop-Star und Musikproduzent Sean Combs alias Puff Daddy alias P. Diddy alias Diddy in Untersuchungshaft. Seit den 1990er-Jahren zählt der wandlungsfähige Rapper zu den Größen der Branche, auch als Produzent, Modemacher, Schnapshersteller, Medienmogul. Sein Business-Imperium macht ihn laut „Forbes“ zum Dollarmilliardär.
Kaution abgelehnt
Ein Kautionsangebot seiner Anwälte über immerhin 50 Millionen Dollar wurde vom Gericht abgelehnt. Zu schwer wiegen die Vorwürfe gegen den siebenfachen Vater: Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Zwangspornografie, häusliche Gewalt, Menschenhandel, Drogendelikte, organisierte Kriminalität. Erst Anfang dieser Woche wurde bekannt: 120 mutmaßliche Opfer haben einen Feuersturm an Klagen gegen den Rapper eingereicht, wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und Ausbeutung; Frauen, Männer, Minderjährige. Ein 15 Jahre altes Mädchen ist darunter, und auch ein neun Jahre alter Bub, beide hofften auf einen Plattenvertrag bei Combs‘ Label „Bad Boy Records“ und sollen damit zu sexuellen Handlungen erpresst worden sein. Kaum zu glauben: Insgesamt gibt es einschlägige Vorwürfe von mittlerweile mehr als 3000 Menschen.
Wie viele dieser Fälle tatsächlich vor Gericht kommen werden, ist noch unklar. Ziemlich eindeutig aber lässt sich sagen: Der Lifestyle, den der Rapper und Musikmogul (mit „Bad Boy“ produzierte er u.a. Usher, Notorious BIG, Janelle Monae, Machine Gun Kelly) fast drei Jahrzehnte lang öffentlich vorgelebt hat, war wohl nicht nur zu Publicityzwecken konstruiert.
Protzgeschichten von Gesetzesbruch
Kleiner Exkurs: Protzgeschichten vom Gesetzesbruch in einem rassistischen System zu zelebrieren, gehört seit jeher zu den zentralen Narrativen des Hip Hop. Dass Rap-Stars ihr Rebellentum überlebensgroß zur Schau tragen, ist also Teil der Show; Gangsta-Attitüde, dicke Knarren, schnelle Autos, fetter Bling tragen zur Konstruktion dieses dubiosen Glamours ebenso bei wie die Herabwürdigung von Frauen. Auch „Diddy“ hat drei Jahrzehnte lang davon gerappt, wie er „Bitches“ und „Hoes“ attackiert, benutzt und misshandelt. Bloßes Rollenspiel war das in seinem Fall offenbar nicht, auch wenn seine Anwälte alle Vorwürfe zurückweisen und für ihn die Unschuldsvermutung gilt. Aber spätestens seit im Mai dieses Jahres ein acht Jahre altes Überwachungsvideo publik wurde, auf dem Combs seine damalige Partnerin Cassie über einen Hotelgang schleift und mit Füßen tritt (die Sängerin verglich sich mittlerweile vor Gericht mit ihm), sind die Unschuldsbeteuerungen suspekt, liegt die übliche Verteidigungstaktik der Opfer-Täter-Umkehr - bei den Vorwürfen gehe es nur um Geld bzw. Publicity – in Schutt und Asche.
Geld, Macht, Berühmtheit schützt die Täter
Zumal mittlerweile auch die Augenzeugenberichte von Diddys „White Parties“ und mehrtägigen „Freak offs“ mehr als ominös klingen: Hollywood-Star Ashton Kutcher etwa verriet vor Jahren in einem Radiointerview lachend, er habe dort Dinge erlebt, über die er besser nicht spreche. Seit mutmaßliche Opfer berichteten, sie seien dort unter Drogen gesetzt und mehrfach vergewaltigt worden, muss sich nicht nur Kutcher fragen lassen, wie derartige Übergriffe so lange als sexuelle Eskapaden durchgehen konnten. Eine gängige Erklärung: Geld, Macht, Berühmtheit schützen die Täter. So wagen sich, wie hier, Opfer erst an die Öffentlichkeit, wenn ihre schiere Zahl sie stützt. Wobei: Laut ihren Rechtsbeiständen treffen die Vorwürfe nicht nur Combs, sondern auch etliche seiner prominenten Partygäste, die entweder an Übergriffen beteiligt waren oder tatenlos zusahen: „Die Namen werden einen Schock auslösen“, so ein Anwalt. Bringt also der Rap das so hohle wie haltbare Hedonismus-Klischee von Sex & Drugs im Rock’n’Roll und seinen Nachfahren ins Wanken? Dann blüht dem Musikbusiness wohl keine MeToo-Welle, sondern ein Tsunami.
Ute Baumhackl