Saisonauftakt im Grazer Schauspielhaus – die erste Premiere von gleich dreien an diesem Wochenende. Dass da ausgerechnet ein Werk den Anfang macht, das sich als Absage an die Geschäftigkeit der Gegenwart anbietet, mutet fast wie ein Witz an. Zumal „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ reichlich Energie auf die Bühne bringt: Regisseurin Ewelina Marciniak inszeniert die Romanadaption der US-Autorin Ottessa Moshfegh als Abfolge greller, ekstatischer Traumbilder.
Dabei geht es die Vorlage ziemlich ruhig an: Im Roman berichtet die namenlose Ich-Erzählerin – jung, schön, begütert und gebildet – von ihrem Entschluss, ein Jahr lang im Schlaf zu „überwintern“. Sie kündigt ihren sinnlosen Job in einer schicken New Yorker Galerie und zieht sich zurück in ihre Wohnung, ausgestattet mit überreichlich Schlaf- und Beruhigungsmitteln, die sie von ihrer dezidiert merkwürdigen Therapeutin verschrieben bekommt. Hin und wieder stören Besuche ihrer hartnäckigen Freundin Reva die Einsamkeit der jungen Frau, die beide Eltern verloren und eine unerfreuliche Beziehung hinter sich gelassen hat. Nach und nach zeigt sich aber, dass die Protagonistin in ihren pharma-induzierten Knock-outs offenbar ein Nachtleben führt, an das sie sich im Wachzustand nicht mehr erinnert.
Leben in der „Müdigkeitsgesellschaft“
Moshfeghs Roman, 2018 erschienen, wurde als Zustandsanalyse einer Gesellschaft gefeiert, die ihre Angehörigen überstrapaziert: Leistungs- und Erfolgsansprüche, Vorzeigbares in Sachen Beziehungsleben und Freizeitgestaltung vorlegen zu müssen sowie ein Überangebot an Konsum erzeugen einen Entscheidungsdruck, der gemäß einer vielzitierten Diagnose des Philosophen Byung-Chul Han eine „Müdigkeitsgesellschaft“ provoziert hat, in der Überforderung, Verweigerung, Burn-out allgegenwärtig sind. Allerdings beschreibt Moshfegh den Rückzug ihrer Romanheldin nicht als deklariert politischen oder widerständigen Akt: „Ich will einfach nicht mehr so tun, als wäre ich nicht erschöpft“, lässt sie sie sagen. Und: „Meine Bettdecke ist kein Banner. Gute Nacht!“
Dieser Distanzierung schließt sich Regisseurin Marciniak nicht an. Sie inszeniert „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ vielmehr als wütende Anklage gegen die Zumutungen unserer Zeit und als grellen Fiebertraum, in den sich die Heldin aus einer überlasteten, sinnentleerten Existenz in einen anhaltenden Medikamentenrausch flüchtet. In rasant getakteten Blitzlichtern entfaltet sich die Geschichte einer Entfremdung von der Welt, zeigt sich ein Elternhaus ohne Wärme, wird einfallsloser Männersex verspottet, und eine Kunstszene, die sich mit gut verkäuflichem, oberflächlichen Aktionismus begnügt.
Überlanges Fade-out
Speziell zu Beginn des zweistündigen Abends entwickelt sich aus den Bildern von Überforderung, Verweigerung und Rausch ein neonfarbiger Cocktail (Bühne und Kostüme: Natalia Mleczak) mit starker Wirkung. Gegen Ende aber trübt ein überlanges Fade-out die Erzählung. Dennoch zeigt das Schauspielteam groß auf. Luiza Montero bewegt als namenlose Protagonistin mit nuancierter Verletzlichkeit und als Sängerin. Als Hund legt Dominik Puhl die überraschendste Performance des Abends aufs Parkett, mit wohldosierter Tragikomik berühren Olivia Grigolli und Anke Stedingk in den Rollen der Mutter und der Therapeutin. Anna Klimovitskaya, Marielle Layher, Mario Lopatta und Thomas Kramer ergänzen das fein justierte, mit viel freundlichem Applaus bedachte Oktett.
„Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“. Von Ottessa Moshfegh, Schauspielhaus Graz.
Regie: Ewelina Marciniak. Nächste Termine: 25. und 27. 9., 1. und 2. 10.
Ute Baumhackl