Broke. Alone. A Kinky Love Story

Das Regiedebüt von Anna Unterweger ist während der Pandemie angesiedelt, als noch Quarantäne verordnet war. Nicht mehr aktuell, könnte man meinen. Das ist aber nur der Rahmen für eine Protagonistin ohne Covid-Symptome, die auf sich selbst zurückgeworfen in ihren vier Wänden versucht, die rückständige Miete von 7000 Euro hereinzubringen. So wird sie zum Camgirl auf einer Online-Plattform, wo sie mit ihrer eigenen Kunstform und als Gesprächspartnerin mehr Zeit und somit Geld gewinnt als mit lasziven Spielen. Das vermag Unterweger frech, bunt und spritzig zu erzählen, Hauptdarstellerin Nora Islei ist eine große Entdeckung, ihre brennende Energie und Unvoreingenommenheit überträgt sich jede Sekunde! ●●●●○ Christian Ude

Favoriten

Sie heißen Nerjiss, Liemar, Egemen, Enes, Melisa, Furkan, Dani, Eda, Beid, Arian, Elif, Rebeca, Ibrahim, Alper, Davut, Manessa, Mohammed, Selen, Selin, Teodora, Hafsa, Natalia, Danilo, David, Amina, Valentin und Fatima: Sie gehen gemeinsam in eine Volksschulklasse in Wien-Favoriten. Niemand von ihnen hat Deutsch als Muttersprache, Deutsch-Schularbeiten indes haben alle. Für ihre hinreißende Doku „Favoriten“ hat Ruth Beckermann diese Klasse drei Jahre begleitet. Auf Augenhöhe (Kamera: Johannes Hammel) porträtiert sie die Kinder, deren kämpfende Lehrerin und die ganze Gesellschaft gleich mit. Herzenswarme Ode ans Miteinander, die klar und direkt die Probleme der Bildungspolitik in der Praxis aufzeigt. ●●●●● Julia Schafferhofer

The Substance

Mit 50 sei es vorbei, erklärt ein Produzent (Dennis Quaid) der TV-Fitness-Show-Queen Elizabeth (Demi Moore) an ihrem Geburtstag. „Was ist vorbei?“, fragt sie irritiert. Kann er nicht beantworten. Fix ist: Sie ist gefeuert. Der Sender will einen jungen, sexy Star. Eine Fetisch-Fleischbeschau, wie Regisseurin Coralie Fargeat unmissverständlich klarmacht. „The Substance“ widmet sich dem Schönheits- und Jugendkult Hollywoods. Moore, ein Star der 1980er und 90er feiert ein furioses Comeback als von Selbsthass geplagte Frau. Als Elizabeth von der titelgebenden Schwarzmarktdroge erfährt, die ein jüngeres, besseres Ich verheißt, hadert sie nicht lange. Mit Splatter und Bodyhorror entspringt ihrem Rücken alsbald Mittzwanzigerin Sue (Margaret Qualley). Diese übernimmt Elizabeths TV-Job und weiß auch sonst, was Spaß macht. Optisch begeistert der Film durch einen Mix aus Stanley Kubrick, symmetrischen Bildern, Kamerafahrten und weiten Blickwinkeln. ●●●●○ Susanne Gottlieb

Rosalie

Lose basierend auf dem Leben von Clémentine Delait, einer französischen bärtigen Frau, erzählt Stéphanie Di Giusto von Rosalie (Nadia Tereszkiewicz). Diese ehelicht in einem konservativen Kaff in der Bretagne der 1870er Abel (Benoît Magimel). Der hat Schulden und braucht Rosalies Mitgift. Warum diese so hoch ist, erfährt er, als er überall an ihrem Körper Haare entdeckt. Di Giustos queerer Film über Toleranz und Emanzipation ist gut gemeint, aber mäßig umgesetzt. Zu sehr wird Rosalie in die Rolle der tragischen Heldin gedrängt. SG ●●●○○

Speak No Evil

Höflichkeit kennt keine Grenzen… oder doch? Hätten Louise (Mackenzie Davis) und Ben (Scoot McNairy) Nein gesagt, wäre ihnen viel Ärger erspart geblieben. Sie nehmen das Angebot eines Ehepaars auf ihr Privatanwesen an. Im US-Remake des radikalen Thrillers aus Dänemark hält James Watkins westlicher Gefälligkeitskultur den Spiegel vor. Schade, dass der scharfsinnige satirische Ton durch Horrorklischees trivialisiert wird. POG●●●○○