Es ist ein ikonisches Bild und ein triumphales Selbstporträt, das am 30. April 1945 entsteht: Lee Miller sitzt mit nacktem Oberkörper in einer grün gekachelten Badewanne in einer luxuriösen Residenz am Münchner Prinzregentenplatz 16. Ihre dreckigen Stiefel stehen davor. Es ist die Wohnung von Adolf Hitler, der sich an diesem Tag im „Führerbunker“ in Berlin suizidiert hat.
Davor hat die US-amerikanische Kriegsfotografin Lee Miller mit ihrer Kamera als eine der Ersten den Holocaust nach der Befreiung der Alliierten in den KZs Dachau und Buchenwald dokumentiert: Leichenberge, versperrte Transportwaggons, völlig entkräftete, abgemagerte Häftlinge. Die britische „Vogue“ druckte die Bilder der Nazi-Gräueltaten nicht, die US-amerikanische sehr wohl. Sie sollten um die Welt gehen.
Oscarpreisträgerin Kate Winslet setzt der furchtlosen Lee Miller (1907–1977) und ihrer atemberaubenden Biografie ein filmisches Denkmal: Zehn Jahre hat die Star-Schauspielerin als Produzentin für diesen Film gekurbelt, um die Geschichte einer Frau zu erzählen, die nicht mehr Muse, Modell und Hülle sein wollte, sondern beschlossen hat: „Ich mache lieber Fotos, als eines zu sein.“
Durch die Linse einer Pionierin
In Sachen Macht der Bilder kannte sich Lee Miller vor und hinter der Kamera aus, ihr Blick auf Machtverhältnisse, auf Scham, Ohnmacht, psychische Verletzungen und Widerstand ist einzigartig und charakterisiert ihre beeindruckende künstlerische Arbeit.
Kate Winslet im Interview
Lee Millers Entschlossenheit, ihre Verletzlichkeit, ihre gesamte Persönlichkeit sowie ihren Mut haben das Drehbuchteam (Lem Dobbs, Liz Hannah, John Collee, Marion Hume), Neo-Regisseurin Ellen Kuras und Kameramann Paweł Edelman in ihrer Erzählung anhand von Rückblicken und mit den Co-Stars Josh O’Connor, Andrea Riseborough und Andy Samberg wunderbar eingefangen.
Egal, ob sie in den 1930ern von ausgelassenen Bohème-Partys an der südfranzösischen Küste, – wo Miller ihren späteren Mann, den Kunsthändler Roland Penrose kennenlernt – oder vom harten Kampf als Frau an der Front berichten.
„Die Fotografin“ ist formal kein wagemutiges Biopic, sondern man muss es als großartiges, bildgewaltiges Leinwand-Denkmal betrachten, für das Millers Sohn Antony Penrose sein Privatarchiv öffnete. Es ist eine Hommage, die – mit der faszinierenden Abwesenheit des männlichen Blicks – das Ringen um Selbstbestimmtheit und Anerkennung einer Pionierin skizziert. Inklusive Röllchen am Bauch, Fältchen, Falten und einer nicht jünger oder schlanker retuschierten Kate Winslet.
Die Charaktermimin rollt ihr gesamtes Können aus – ist unglaublich präsent, konfrontativ, in manchen Momenten getrieben. Sie kämpft mit Worten und Blicken und zeigt sich zudem – gebrannt vom Erlebten und Gesehenen – einmal verletzlich, dann wieder abgehärtet. Traumatisiert von den Kriegserlebnissen, werden auch die Schattenseiten ihres Lebens wie ihre Alkoholsucht abgelichtet. Denn: Lee Miller hat später nie mehr über die Zeit gesprochen, ihr Sohn fand die Fotos von der Front erst nach ihrem Tod.
Bewertung: ●●●●○