Er ist seit 2006 Intendant am Theater in der Josefstadt in Wien, ein streitbarer Polterer in öffentlichen Debatten - und die Auslastung stimmt: Doch nun erheben in einem Bericht des „Standard“ ein Dutzend aktuelle und ehemalige Angestellte schwere Vorwürfe gegen den Führungsstil von Theaterdirektor Herbert Föttinger. Schauspielerinnen, Regieassistenten, Techniker, Maskenbildnerinnen und Ankleiderinnen schildern eine „permanente Angststimmung“ und berichten von Wutorgien und Drohungen – auch bei Produktionen, in denen der Intendant involviert ist. Ein Schauspieler erinnert sich, dass Demütigungen auf Proben „ganz normal“ seien. Monatelang haben die beiden Journalistinnen recherchiert, viele der im Text zu Wort kommenden Personen bleiben aus Angst vor Konsequenzen anonym, untermauern ihre Aussagen aber mit eidesstattlichen Erklärungen.
Die interviewten Personen kritisieren einstimmig, dass die Strukturen übergriffiges Verhalten nicht verhindern, sondern eher begünstigen würden. Sie sehen, heißt es, Föttinger in der Verantwortung. Denn: Es sei seine Aufgabe, ein sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen und somit auch seiner Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden nachzukommen. „Er ist ein Mensch, der keine Grenzen kennt und seine Position bewusst ausnutzt“, beschreibt eine ehemalige Theatermitarbeiterin die Zusammenarbeit mit dem Josefstadt-Direktor.
Es gilt die Fürsorgepflicht am Arbeitsplatz
Es ist nicht der erste #MeToo-Skandal in Österreichs Kulturszene. Anders als in Deutschland stand bislang aber nicht das System ganzer Häuser in der Kritik wie nun in der Josefstadt. Besonders eine Geschichte einer Ankleiderin habe aufgerüttelt: Am 6. September 2019 wartete ein Schauspieler im Lager auf sie, fiel vor ihr auf die Knie, öffnete ihren Gürtel und war kurz davor ihre Hose zu öffnen. Es blieb nicht der einzige Übergriff. Einmal, heißt es in dem Bericht, habe er ihre Brust „so fest angegriffen, dass es wehtat“, erzählte sie dem „Standard.“
Die junge Frau informierte ihr Team und den Betriebsrat über die Vorwürfe. Viele wussten also Bescheid. Passiert ist wenig. Ein Betriebsratsmitglied informiert den Betroffenen. Dann kommt Corona - die Theaterszene liegt brach. 2021 flammt der Fall der Ankleiderin neu auf. Denn besagter Schauspieler macht freiwillig bei einer Videokampagne des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser mit. Als das Video veröffentlicht wird, melden sich zahlreiche Frauen mit Gewaltvorwürfen bei der Leiterin Maria Rösselhumer. Im Fokus der Beschwerden standen zwei Schauspieler - eben der Mime aus der Josefstadt und ein „Corsage“-Darsteller. Die Kleine Zeitung hat zuerst über den Fall berichtet. Das Video wurde sofort am nächsten Tag offline genommen.
Und nun wird es pikant: Die Betroffene schreibt an die Theaterleitung, beendet das Schreiben mit dem Satz: „Ich bin nicht die Einzige, die eine MeToo-Geschichte zu erzählen hat.“ Wie reagierte die Leitung? Sie lud die Betroffene, die keine Anzeige gegen den Schauspieler erstatten wollte, aber nicht mehr mit ihm arbeiten wollte, zu einem Gespräch. Ausgang: Es stehe „Aussage gegen Aussage“. Daraufhin wurde sie von den Kammerspielen in die Josefstadt versetzt, man bot an, die Kosten für eine Therapie zu übernehmen. Der Schauspieler? Man sprach eine Verwarnung ihm gegenüber aus. Er dementierte. Und blieb im Ensemble. Bis heute. Die Ankleiderin verlässt das Haus 2021.
Die Betriebsräte bleiben dran, finalisieren den Verhaltenskodex, der auf Filmsets und in vielen anderen Theaterhäusern gang und gäbe ist. Die Umsetzung scheitert. Denn die Unterschrift der Direktion blieb aus, wird eine Betriebsrätin zitiert. Später bei einem Treffen tobte Föttinger und bezeichnete solche Verträge als „lächerlich“. Er begründete seine Ablehnung laut einer zitierten Person wie folgt: „Wer als Künstler erfolgreich sein will, muss übergriffig sein.“
Drei Jahre später gab es noch immer keinen Verhaltenskodex. Am 9. September war es schließlich so weit. Es ist, schreibt der „Standard“, derselbe Tag, an dem das Medium das Theater mit den Vorwürfen konfrontierte. Föttinger selbst, rechtfertigte sein Verhalten, dass er für das Theater brenne.
Die Reaktionen der Verantwortlichen
In einem auf der Webseite des Theaters veröffentlichtem internen Schreiben bekennt sich Föttinger u. a. : „Ich muss an meinem Verhalten arbeiten.“ Der Stiftungsstandsvorsitzende Thomas Drozda kommt ihm zu Hilfe: Föttinger setze sich seit zwei Jahrzehnten „eindrucksvoll und mit leidenschaftlichem Engagement für das künstlerische und wirtschaftliche Wohl“ ein.
In seiner Mehrfachfunktion sei er im Haus „omnipräsent und seinen Mitarbeiter:innen in kollegialer und loyaler Weise verbunden, was zu einer im deutschsprachigen Raum extrem niedrigen Fluktuation innerhalb der Belegschaft führt - und damit das Gegenteil einer sogenannten Kündigungskultur darstellt“. Eine erste juristische Prüfung der Vorwürfe seie zu dem Ergebnis gekommen, dass „kein einzig strafrechtlich relevanter Vorwurf“ vorliege. Eine lückenlose Untersuchung der Anschuldigungen mithilfe externer Ombudsstellen hätte man sich aber vorgenommen.
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) erklärt auf Nachfrage gegenüber der Kleinen Zeitung: „Missbräuchliches Verhalten hat in Kunst und Kultur nichts verloren und muss endlich der Vergangenheit angehören. Das gilt ganz besonders für jene Institutionen, die zu großen Teilen durch öffentliche Gelder finanziert werden. Es ist für mich unerträglich, wenn inkorrektes oder gar missbräuchliches Verhalten mit der Freiheit der Kunst gerechtfertigt wird. Das muss aufhören.“ Und weiter heißt es: „Auch wenn sich Herbert Föttinger bereits entschuldigt hat, wiegen die vom Standard recherchierten Vorwürfe schwer und sind ernst zu nehmen. Wir sind mit dem Stiftungsvorstand des Theaters in der Josefstadt im engen Austausch dazu, dieser hat dem BMKÖS gegenüber eine umfassende Aufklärung unter externer Begleitung angekündigt. Die Ergebnisse dieser Auswertung sind abzuwarten.“
In eine ähnliche Kerbe schlägt die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler in einer schriftlichen Reaktion: „Vorwürfe der Mitarbeiter*innen des Theaters in der Josefstadt nehme ich sehr ernst. Alle Arbeitnehmer*innen haben das Recht auf einen angstfreien, sicheren Arbeitsplatz. Der Stiftungsvorstand der Theater in der Josefstadt-Privatstiftung hat mir versichert, dass bereits eine Untersuchung – unter Mithilfe externer Beratungsstellen – eingeleitet wurde. Das ist der richtige Weg. Die Stadt Wien als Fördergeberin erwartet sich den Bericht einer lückenlosen Aufklärung.“
In der Saison 2026/27 übernimmt Marie Rötzer das Haus.