„Wie soll ich erzählen, wenn mein Gedächtnis ein Bündel angebrannter Nerven ist?“ Diese Frage stellt sich Toni, wenn er in der Wiener Nationalbibliothek sitzt und japanische Schriftzeichen lernt oder beim AMS wieder einmal einen Kurs aufgebrummt bekommt: „Philosoph, arbeitssuchend“, die Chancen auf Vermittlung sind gering. Doch die meiste Zeit ist Toni ohnehin damit beschäftigt, sein zertrümmertes Leben in Worte zu fassen und sich um die andere Toni – seine ehemalige Tanzpartnerin – zu kümmern. Diese sitzt meist antriebslos in ihrer Wohnung, schaut sich endlos (Tanz-)Serien an, und die zahlreichen Narben trägt sie nicht nur auf ihrem Körper. Toni & Toni, das Tanzpaar, hätte Karriere machen können. Doch dann: Eine Feier vor der Premiere, Drogen, ein Unfall, Ende der Vorstellung.
Was der Grazer Schriftsteller Max Oravin in seinem Debütroman „Toni & Toni“ aus dieser Geschichte macht, ist eine faszinierende, herausfordernde, schmerzhafte Tanzperformance in Worten. Zeit und Raum sind außer Kraft gesetzt, aber die kunstvoll konstruierten Sätze mäandern nur scheinbar ziellos über das Parkett. So wie Toni sich in die japanischen Schriftzeichen und den Buddhismus hineinlebt, muss man sich als Lesender diesem Textkörper nähern. Einem Körper, der lebt, liebt, leidet, stöhnt, ächzt und immer wieder aufschreit. Ein Protokoll des Scheiterns und des Schmerzes und der Versuch, das Unsagbare, Unerträgliche auf ein tragfähiges Wortfundament zu betten. Wobei Oravin das Suchen nach Sprache, das Herantasten, wichtiger ist als das Finden. Das Leben, es lässt sich ohnehin – wenn überhaupt – nur in Chiffren abbilden. Und immer wieder, so der erzählende Toni, gibt es diese „Sehnenrisse im Denken“.
Toni, seine Tanzpartnerin, lebt in den Tag hinein und zunehmend aus sich selbst heraus. „Ihr Körper ist ihrem Kommando entglitten“, die Anteilnahme der Freunde ist ritualisiert. Keinem Schema hingegen folgt dieser hoch originäre Roman, das Lineare und Chronologische spielen keine Rolle mehr. Max Oravin erzählt diese Geschichte, indem er die Sprache selbst zur Hauptfigur macht. „Eine endlose Perlenkette aus Text und Text“, liest man an einer Stelle. Dass „Toni & Toni“ auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis steht, ist ein Zeichen dafür, dass auch außer- und ungewöhnliche Bücher gewürdigt werden.
Max Oravin. Toni & Toni. Droschl, 112 Seiten, 21 Euro.