Aubrey ist fünf, aufgeweckt und ziemlich schlau. Das Mädchen gibt strahlend mit ihren Einmaleins-Künsten an. Violette Perlen leuchten in ihren Rasta-Zöpfen im Schein des Aquarium-Lichts. An ihrer Wand hängen Schul-Urkunden. Sie sammelt sie, damit ihr Papa stolz auf sie ist. „Er kommt in sieben Jahren nach Hause“, erzählt sie. Ihr Papa Keith ist nicht anwesend. Er sitzt im Gefängnis. Warum, das erfährt man im berührenden Dokumentarfilm „Daughters“ nicht, der nach zwei Preisen am Sundance Film Festival nun auf Netflix zu sehen ist.

Die Filmemacherin Natalie Rae und die Aktivistin Angela Patton berichten von dem Programm „Date with Dad“, das seit zwölf Jahren in den USA schwarze Töchter mit ihren inhaftierten Vätern für einen Tanznachmittag im Gefängnis zusammenbringt. Es ist eine der raren Möglichkeiten, wo die Männer ihre Kinder sehen, mit ihnen reden und sie umarmen können. Denn viele amerikanische Gefängnisse haben persönliche Besuche zwischen Familienmitgliedern eingestellt. Stattdessen: beschränkte Video- und Telefonanrufe. Zudem werden Inhaftierte häufig von Einrichtung zu Einrichtung und damit von Bundesland zu Bundesland verlegt; weit weg von ihren Familien.

Patton hat dieses Programm initiiert, die Innensicht ist für den Film sehr wertvoll. Die Regisseurinnen haben mehrere Töchter mit ihren Vätern über Jahre begleitet. Sie haben sowohl den Mädchen als auch den Männern genau zugehört, von ihren Sehnsüchten, Träumen, ihrer Einsamkeit und ihren Ängsten erfahren.

Santana ist zehn, sieht aber viel älter aus. Das mag daher rühren, weil das Mädchen längst an der Seite ihrer Mutter eine Elternrolle für ihre jüngeren Geschwister übernommen hat. Ihr Vater Mark ist abwesend. Ja’Ana lernt das Publikum bei ihrer Party zum elften Geburtstag kennen. Sie fragt sich ganz offen, ob es überhaupt wichtig ist, eine Beziehung zu ihrem Vater aufrechtzuerhalten. Schließlich hat sie ihren Vater nie kennengelernt.

Für dieses Tanz-Date müssen die Väter wochenlang an einem Coaching teilnehmen, wo sie über Vaterrollen und Verantwortung sprechen. Es sind universelle Momente voller Liebe, Zweifel, Reue. „Weil ein Vater eingesperrt ist, bedeutet das nicht, dass er aus dem Leben seiner Tochter ausgeschlossen werden sollte“, sagt Patton.

„Daughters“ fokussiert im Erzählen auf das Greifbare und den Vorbereitungen zum großen Tag: Rasierer surren, Brustumfänge werden vermissen, Krawatten gebunden, Mädchenfrisuren hochgesteckt. Der Tanz selbst ist großes Kino, die Emotionen gehen mit manchen durch. Aufgefädelt und aufgeputzt warten die Väter am Gang bis ihre Mädchen eintreten. Nicht jeder erkennt sein Kind sofort. Und während sich manche um den Hals fallen, bleiben andere abweisend. Die Doku endet nicht mit den schmerzhaften Abschiedsszenen, sondern sieht sich ein paar Jahre später an, was nach dem Date mit den Papas passiert ist.

Aubrey hat resigniert. Aus den erhofften sieben Jahren wurden zehn. Ein anderer Vater ist wieder draußen – und blieb es auch. An den Tanz erinnert er sich folgendermaßen: „An diesem Tag hatte ich das Gefühl, ich kann nie mehr ins Gefängnis zurückkehren.“ Zu groß sei die Kraft gewesen, es zu schaffen. Für seine Töchter. Statistisch betrachtet, kehren 82 Prozent der Inhaftierten in den USA zehn Jahre nach ihrer Entlassung mindestens einmal wieder ins Gefängnis zurück. Nach dem „Date with Dad“-Programm hingegen, schaffen es 95 Prozent, nicht mehr straffällig zu werden.