Die Ungewissheit, sie ist für die Angehörigen wohl am schlimmsten zu ertragen: Am 9. August, also genau vor einem Monat, haben Zeugen den Autor das letzte Mal gesehen. Er wollte im alpinen Gelände zwischen Grafenbergalm und Heilbronner Kreuz im Dachsteingebiet nach seinem Vieh suchen, habe er Wanderern gesagt. Seither wurde er nicht mehr gesehen, seit 11. August gilt Bodo Hell offiziell als vermisst. Mehrere großangelegte Suchaktionen verliefen leider ergebnislos.
„Der gute Hirte“, so hat die Kleine Zeitung einmal einen Artikel getitelt. Der gute Wort-Hirte müsste man hinzufügen. Bodo Hell ist ein vielseitiger und höchst originärer Literat, Musiker und „Darsteller“ seiner eigenen Texte; eine Ausnahmeerscheinung, der sich weder als Mensch noch als Künstler in Schubladen zwängen lässt. „Bodo HELLwach“ heißt ein Filmprojekt für und von Hell, das im Vorjahr anlässlich seines 80. Geburtstages präsentiert wurde. Und hellwach ist der ebenso kraftvolle wie feinsinnige Wortschmied fürwahr. Hell ist nicht nur ein Suchender, sondern vor allem ein Sehender, ein „Schamane des Schauens“, wie ihn die „Neue Zürcher Zeitung“ einmal genannt hat; einer, der das Wesen der Natur ebenso im Blick hat wie jenes der Menschen. Dabei hat Hell nie verklärt, nie verhärtet, sich nie verbogen vor literarischen Moden. Aufklärung ist ihm ein Anliegen, aber nicht als abstraktes, pädagogisches Konstrukt, sondern als empirische Erkundung des Lebens.
Hell und seine Sprach-Schäfchen
Geboren wurde Bodo Hell am 15. März 1943 in Salzburg. Er studierte zunächst am Mozarteum, später an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, bald darauf widmete er sich ganz dem Schreiben. Friederike Mayröcker und Ernst Jandl nannte Hell stets als seine literarischen Leitfiguren, sich selbst bezeichnet er als „faktenorientierten Autor“, dessen Anspruch ist, das Recherchierte und Erlebte mittels differenzierter sprachlicher Methoden in einen Prosazusammenhang zu bringen. Seine Arbeit als Almhirte, der er seit Jahrzehnten betreibt, ist für Bodo Hell „trotz aller körperlicher Anstrengungen ein Jungbrunnen auch für die Seele“, wie er einmal sagte.
Bodo Hell wurde mit zahlreichen Preisen geehrt: 2017 erhielt er den Christine Lavant Preis, 2019 den Großen Kunstpreis des Landes Steiermark, 2024 den Literaturpreis des Landes Steiermark. In der Jurybegründung hieß es damals: „Auch in seinem Schreiben erweist sich Bodo Hell seit Jahrzehnten als ein guter Hirte. Als einer, der das, was er sprachlich auch an entlegenen Stellen vorfindet, sanft zusammentreibt, dabei aber seinen Sprach-Schäfchen immer wieder auch recht hochfahrende Aber- und Abwege erlaubt. Dieser sprachliche Herdendrang, gepaart mit größtmöglicher individueller Freiheit, zeichnet die Literatur des ungemein belesenen und erfahrenen Autors aus.“
Viele Bücher von Bodo Hell sind im Grazer Droschl Verlag erschienen, auch seine im Vorjahr erschienene bislang letzte Publikation mit dem Titel „Begabte Bäume“, in der er sich einmal mehr als Vielseitiger und Vielfacher erweist. Sanft wildert er in diesem Buch durch die Wortwelt, benennt mit knorrigem Witz und enzyklopädischem Wissen alles, was da wächst zwischen Himmel und Erde; kennt die Samen der Gewächse und die Sagen der Menschen, kennt jedes Kraut beim Namen und schnitzt daraus Sätze, die tief im Boden wurzeln und doch in lichte Höhen treiben. Der Faktizität verpflichtet, der Poesie erlegen, sammelt Hell Vielfältiges und Kurioses, Mystisches und Volkstümliches rund um Bäume auf wie Herbstlaub. Doch Hell beschreibt die Natur nicht nur, er ist mit und in ihr. Und in dieser Natur, in den Bergen, hat sich jetzt auch seine Spur verloren.
Buchtipp: Bodo Hell. Begabte Bäume. Droschl, 216 Seiten, 26 Euro.