Der Nationalsozialismus war nach der „Machtergreifung“ 1933 in eine ernsthafte Krise geraten, die 1934 einigermaßen deutlich zu Tage getreten war. Versprochene Reformen griffen nicht, erwiesen sich als untauglich oder nicht umsetzbar. Der Dilettantismus in der Organisation und unfähige Parteikader sorgten neben den zahlreichen Repressionen, der offenen Gewalt und miserablen Wirtschaftsdaten dafür, dass die Unzufriedenheit in breiten Bevölkerungsschichten anstieg. Offenbar war es leichter, die Straße zu regieren als das Land.
Zusätzlich stand Adolf Hitler in einer permanenten Auseinandersetzung mit der SA. Die braun uniformierten Schlägertrupps, die den Nazis den Weg an die Macht freigeprügelt hatten, waren im Grunde überflüssig geworden. Was dem Machthunger des SA-Chefs Ernst Röhm nicht bekam, der die SA unter anderem gerne als maßgebliche militärische und polizeiliche Akteurin etabliert hätte. Röhm wurde zum größten innerparteilichen Konkurrenten Hitlers. Der fast gleichaltrige Münchener war ein früher Weggefährte, ein Soldaten-Typ, der das Politische verachtete und die „nationale Revolution“ gerne zu einer permanenten gemacht hätte.
Machtinstinkt und Mythos
Dem Machtinstinkt und der Kaltschnäuzigkeit von Adolf Hitler war aber auch Röhm bei weitem nicht gewachsen. Hitler entledigte sich des Problems SA mit einem extrem brutalen Handstreich. Peter Longerich: „Hitler ging es nicht mehr um die Entscheidung eines innenpolitischen Machtkampfs zu seinen Gunsten, sondern er war entschlossen seine Gegner physisch zu vernichten, eine Aura des Terrors und des Schreckens zu verbreiten, die künftige Oppositionsbildungen bereits im Ansatz verhindern sollte.“ Am 30. Juni 1934 ließ er hochrangige SA-Kader verhaften und viele davon erschießen. Vorwand dafür war eine angebliche Konspiration zum Sturz Hitlers, der „Röhm-Putsch“. Zur Rechtfertigung wurde im Nachhinein auch die Homosexualität Röhms mehr oder weniger offen thematisiert. Man insinuierte homosexuelle Orgien an der Führungsspitze der SA, offenbar ein Mythos, der sich auch nach 1945 als ziemlich haltbar erwies.
Gleichzeitig wurden auch einige Proponenten der Hitler sehr lästig gewordenen, katholischen-ultrakonservativen Kreise rund um Vizekanzler Franz von Papen umgebracht. 60 Morde wurden, so rechnet Peter Longerich in „Abrechnung“ vor, vermutlich direkt von Hitler autorisiert, dazu kamen 30 weitere, weil regionale Machthaber die „Gunst der Stunde“ nutzten, um Konkurrenten, Regimekritiker und Juden zu töten.
Peter Longerich zeichnet eine faktenreiche Skizze der Stimmung im Deutschland 1934 und arbeitet jeden einzelnen der Morde dieser Tage akribisch auf. Für den deutschen Historiker ist die parteiinterne „Säuberung“ ein zentrales Ereignis des Dritten Reichs gewesen, mit dem Hitler seine Alleinmacht durchsetzte. Einen Monat später, am 2. August, starb der greise Reichspräsident Hindenburg und der Reichskanzler konnte sich endgültig als „Führer“ etablieren.