Staub peitscht einem ins Gesicht, während man die burgenländischen Pannonia Fields entlang in Richtung Bänderausgabe spaziert. Illustre Charaktere haben sich in die lange Schlange gereiht; es duftet nach Bier, Gras und Schweiß. Klingt so weit nach einem üblichen Start für das Nova Rock. Eine Sache war 2024 am Eröffnungstag aber gehörig anders: Die gewohnte Gatschpartie durfte man sich Gott sei Dank ersparen. Das Wetter hat mitgespielt, frühabends brachte die Sonne das Gelände sogar kurz richtig zum Strahlen. Sommerliches Flair machte sich breit, bevor sich allmählich die großen Tagesheadliner ankündigten.
Video: Die Fans feiern am Nova Rock
Böse Überraschungen lauerten derweil auf der Red Stage, der zweitgrößten Festivalbühne: Corey Taylor, führendes Schreckgespenst der Metal-Zombies von Slipknot, hat seinen Solo-Auftritt kurzfristig abgesagt. Spontan waren die „Bloodsucking Vampires from Outer Space“, die eigentlich aus dem irdischen Wien stammen, eingesprungen. Ein Glück, dass immerhin auf der großen Hauptbühne alles nach Plan verlief.
Ein Superstar am Bass
Das große Promi-Schaulaufen wurde dort bereits früh am Abend angesetzt. Beim ersten Österreich-Konzert von Dogstar scharten sich Schaulustige, um ausgerechnet einen Blick auf den Bassisten der Band zu erhaschen: Schauspiel-Star Keanu Reeves. Gegen 17 Uhr 30 stand er dann auf der Bühne: der Mann, der als auserwählter Neo dem Kugelhagel auswich und sich als anzugtragender John Wick durch die Unterwelt metzelte. Seinem Status als „Nice Guy“ wurde der Hollywood-Riese auch im kleinen Nickelsdorf gerecht; sichtlich bemüht, den Fokus auf seine weniger berühmten Kollegen zu lenken. Wortlos und fast schüchtern verblieb der Matrix-Darsteller, der neuerdings in einem ungewohnten Kurzhaarschnitt und einem leicht gräulichen Bart rockt, im Hintergrund. Ein Teamplayer eben. Die Masse war trotzdem nur am großen Keanu interessiert. Sobald sein Antlitz auf der Leinwand aufblitzt, geht der Kreischalarm los. Schade, denn auch ohne den Celebrity-Faktor hätte sich das Trio Aufmerksamkeit verdient: grundsolider Alt-Rock der alten Schule.
Rock, der jung hält
Generell schien der erste Festivaltag den Rockern jenseits der 50 zu gehören: Direkt im Anschluss performten mit Jane’s Addiction wahre Helden der Alternative Music. Strahlemann Perry Farrell, ein Wegbereiter des Grunge, war die Berufsjugendlichkeit aus jeder Pore seines Seins anzumerken. Zwischen den Songs leerte man, getreu hedonistischer Rock’n’Roll-Tradition, auf der Bühne eine Flasche Rotwein.
Der Altersschnitt der auftretenden Künstler blieb den Abend über hoch, allerdings unternahm man später den Zeitsprung in die 2000er-Jahre. Zwei Bands, deren Poster im neuen Millennium die Zimmerwände rockvernarrter Teenies zierten, gaben sich ein Nostalgie-Duell. Den Anfang machte Billy Talent – die Truppe, die mit Songs wie „Fallen Leaves“ und „Surrender“ lange den Mainstream-Rock dominierte. Auf der blauen Main-Stage sang sich Bandvorsteher Benjamin Kowalewicz brav durch die größten Hits. Irgendwie klingt ja alles recht ähnlich, trotzdem versprühen die Ohrwürmer einen sympathisch rotzigen Charme, der gerade live zu fesseln vermag. Selbst dann, wenn plötzlich die Technik versagt; für Musikerinnen und Musiker ist das eine „Red Flag“. So heißt übrigens auch der weltbekannte Titel, der während des Patzers angespielt werden sollte – Ironie des Schicksals.
Ohne technische Fauxpas ging dagegen der Auftritt von Green Day über die Bühne – allerdings fehlte es zunächst an Pep. Das einstige Punk-Trio um Billie Joe Armstrong ist erwachsen geworden und hat musikalisch neue Dinge probiert. Ob ein Festival dieser Art die richtige Bühne ist, um den eigenen Reifeprozess an die große Glocke zu hängen, sei aber dahingestellt. Das Publikum war sichtlich auf die Lieder vorbereitet, die ein jedes Kind der 90er-Jahre mit trällern können sollte, die an die „guten alten Zeiten“ erinnern würden: „Boulevard of Broken Dreams“, „American Idiot“, „Basket Case“. Die lieferte man auch noch, doch zunächst nur in kleinen Dosierungen, was die Mitmachbereitschaft bremste. Die Energie konnte man im Laufe des Abends etwas steigern; spätestens, als ein Fan zum Abrocken auf die Bühne geladen wurde. Mit nicht minder großen Szenenamen geht man am Festivalwochenende in den Endspurt: Avril Lavigne, Alice Cooper oder Bring Me the Horizon geben sich Samstag und Sonntag die Ehre. Nostalgische Rockergüsse stehen also weiter auf der Tagesordnung.
Christian Pogatetz