Dem Festwochen-Intendanten Milo Rau ist hoch anzurechnen, dass er in die alljährliche Rundschau internationalen Gegenwartstheaters auch zwei Vermächtnisse packte – noch dazu zwei künstlerisch höchst gegensätzliche, noch dazu am selben Abend: Am Mittwoch wurde auf der Bühne des Burgtheaters mit Rene Polleschs (1962-2024) letzter Volksbühnen-Inszenierung „ja nichts ist ok“ dem Maximalismus des Ende Februar überraschend verstorbenen Theatermachers gehuldigt. Zugleich fand im Jugendstiltheater am Steinhof die Premiere von Peter Brooks (1925-2022) letzter Inszenierung statt: „The Tempest Project“ war in Brooks fast acht Jahrzehnte umspannender Karriere die dritte Auseinandersetzung mit Shakespeares letztem Drama „Der Sturm“, und die wohl reduzierteste in einem auf Verzicht auf das Überflüssige konzentrierten Œuvre.

Die Frage nach der Freiheit

In seinem Buch „Der leere Raum“ hat Brook 1968 Thesen vorgelegt, die sich als bahnbrechend für das Theater des späten 20. Jahrhunderts erwiesen. In dessen Sinne erlebt man „The Tempest Project“ von Brook mit Marie-Hélène Estienne für sein Pariser Théatre des Bouffes du Nord erstellt, erstaunlicherweise zugleich als zeitlos und wie aus der Zeit gefallen. Die Bühne ist fast leer, nur ein paar derbe Sitzgelegenheiten, Decken, Stöcke kalibrieren den halbdunklen Raum; auch die Handlung reduzierte Brooks auf das ihm Wesentliche: die Frage nach der Freiheit, die für jede Figur des Stücks etwas anderes bedeutet. Personal und Text sind extrem komprimiert, rund um den zauberkräftigen und von seinem Bruder um die Herrschaft betrogenen Fürsten Prospero (würdevoll: Ery Nzaramba), gruppiert Brook dessen Tochter Miranda (Paula Luna) und seinen Helfer, den Luftgeist Ariel (die wunderbare Marilù Marini), dazu die beiden sauf- und rauflustigen Matrosen Stefano und Trinculo (grandios komödiantisch gespielt vom Zwillingspaar Luca und Fabio Maniglio). Den geknechteten Hexenbalg Caliban und den gestrandeten Prinzen Ferdinand spielt Sylvain Levitte als sinnfällige Doppelrolle. Deklamiert wird 85 Minuten lang im Stehen oder Sitzen, oft direkt ins Publikum. Reservierter Theaterzauber, konzentriert auf Aussage und Ausdruck. Kein Sturm, aber eine zart belebende Brise abseits der wohlklimatisierten, heute gängigen Theaterästhetik.

The Tempest Project. Jugendstiltheater am Steinhof, Wien. 14.-16 Juni. festwochen.at