„Wenn ich in mich gehe, bin ich oft außer mir“, hat Erich Fried einmal geschrieben. Wenn Lima in sich geht, ist da außer Leere oft nichts. „Sich selbst gesucht. Nichts gefunden. Drauf geschissen. Nun einen Dschungel aufgesucht, der näher lag.“ Der „Dschungel“ liegt in den österreichischen Voralpen, dorthin zieht sich Lima für einige Sommerwochen zurück. Eine junge Frau, die in der Stadt an der Uni arbeitet, dissertiert hat sie über die weibliche Sexualität bei Arthur Schnitzler. Auch darum wird es in diesem Roman später gehen. Um Körperlichkeit, Sinnlichkeit, aber vor allem ist Lima auf der Suche nach dem Wirklichen, denn den Worten misstraut sie inzwischen auch. „Aber wie das Echte, das Eigentliche aushalten, wo man es doch gar nicht gewohnt ist.“
„Glühen“ ist der dritte Roman von Theodora Bauer, und darin beschreibt sie mit leichter Hand schwerer Themen. Wie leben in einer polykriselnden Gegenwart, auf wie viel Zukunft darf man noch hoffen? Und immer wieder verrutschen der jungen Frau die Zeiten und Realitäten, immer wieder träumt sie sich in die Ära von Schnitzler und Horváth zurück. Aber auch die Literatur liefert ihr keine Rezepte, Anleitungen, Lösungen. Was bleibt, ist Erschöpfung und Ratlosigkeit. „Irgendetwas stimmte nicht. Finde den Fehler.“
Theodora Bauer, Jahrgang 1990, spiegelt auf hohem literarischen Niveau das Lebensgefühl einer Generation wider, der es auf gutem Niveau schlecht geht; einer Generation, die keinen Sinn mehr darin sieht, groß auf Sinnsuche zu gehen. Eine Art fatalistische Lethargie hat sich breit gemacht. Man ahnt und spürt eine Bedrohung - individuell und universell -, kann sie aber nicht genau benennen. Dieses vage, aber schmerzhafte Verlustempfinden zieht sich derzeit generell durch die Literaturlandschaft – von Karl Ove Knausgård über T. C. Boyle bis Theodora Bauer. Es sind Seelen-Dystopien ohne Wehleidigkeit, gerade deshalb kommen sie umso wuchtiger daher.
Die Sprache von Bauer ist kunstvoll, aber nie manieriert. Sie versteht ihr Handwerk, aber das Werkzeug sieht man nicht. Der Ton ist ruhig, doch der Stille ist nicht zu trauen. Lima quartiert sich bei einer schroffen Pensionswirtin ein, wandert durch die Wälder, weitere Menschen scheint es nicht zu geben in dieser gebirgigen Gegend, bis auf... Ein junger Mann taucht auf, weißes Unterhemd, Sense in der Hand, er mäht die Wiese. Lima träumt von ihm, später sieht sie ihn tatsächlich. Oder doch nicht? Michael ist sein Name und er scheint einer anderen Zeit entsprungen. Wird jetzt der Roman zur rätselhaften Traumnovelle?
„Glühen“ ist von traumwandlerischer literarischer Präsenz und Theodora Bauer eine junge Stimme, die ohne Larmoyanz die flirrenden Fragen der Gegenwart aufgreift. „Wenn ich in mich gehe, bin ich oft außer mir.“ Und letztendlich ist natürlich auch Lima eine Suchende. Denn: „Nichts hält der Mensch nicht aus.“
Theodora Bauer. Glühen. Rowohlt Berlin, 124 Seiten, 22,70 Euro.