Märchenhaft. Es war einmal, und das ist erst fünf Jahre her, ein damals 18 Jahre altes US-Mädchen mit buntem Äußeren und eher dunkelgrauem Innenleben, das ein Album mit dem Titel „When We All Fall Asleep, Where Do We Go“ auf den Pop-Markt wuchtete und mit dem Song „Bad Guy“ einen Welthit landete. Es war ein nervös zuckendes Stück mit einer unverschämt eingängigen Melodie; frech, etwas verhuscht, ein wenig depri, aber extrem tanzbar und massenkompatibel. Sofort begannen die Mühlen des Business zu mahlen, Eilish wurde durch die Erfolgsmangel gedreht, das zweite Album hieß dann „Happier Than Ever“ – und natürlich war das ironisch gemeint, denn das Gegenteil war der Fall.

Jetzt also Album Nummer drei, mit dem üblichen Erwartungs-Countdown gepusht, aber das Produkt selbst ist erstaunlich unspektakulär, und einen Blockbuster wie „Bad Guy“ sucht man auch auf dem dritten Eilish-Streich vergeblich. Elf Songs sind auf „Hit Me Hard And Soft“ enthalten, und bei diesem Titel darf die Fantasie natürlich ausgiebig Purzelbäume schlagen, zumal die inzwischen 23-Jährige auf dem Song „Lunch“ davon singt, wie sie eine Frau zum Mittagessen vernascht; gutes Futter also für weitere Spekulationen über die sexuelle Ausrichtung von Eilish.

Aber zu Wichtigerem. Ähnlich wie Album Nummer 2 ist auch das neue Werk textlich eine Nabel- und Narbenschau. Gleich auf dem ersten Song „Skinny“, einer zarten Gitarren-Ballade, singt Eilish davon, dass sie ein Vogel in einem Käfig ist, sobald sie die Bühne verlässt. Der Song „Chirhiro“ ist möglicherweise programmatisch für dieses Album; benannt nach einem Manga-Mädchen, das ebenfalls eine schmerzhafte Coming-of-Age-Story erlebt und erleidet.

Die Songs auf „Hit Me Hard And Soft“ sind beim ersten Reinhören angenehm unauffällig, nicht auf grellen Hype und schnelle Gefälligkeit getrimmt, doch der Zauber liegt im Detail - und dafür ist wieder Eilish-Bruder und Produzent Finneas O‘Connell verantwortlich. Vor allem im zweiten Teil des Albums kommt die raffinierte Vielschichtigkeit der Stücke zum Vorschein, die feinen Brüche und Nuancen, das Kippen von Stimme und Stimmung von „hard“ zu „soft“, das Anschwellen der dunklen Beats, die spannende Instrumentierung. Man spürt und hört: Hier geht es nicht um die schnelle Befriedigung von Laufkundschaft, sondern um nachhaltige musikalische Qualität. Fazit: Nicht den Erwartungen zu entsprechen, ist ein Zeichen von Reife. In diesem Sinne haben wir es hier mit einer jungen, an die Spitze gepeitschten, verletzlichen, aber selbstbewussten und -bestimmten Künstlerin zu tun. Wer braucht schon „Bad Guy, Part 2“?

Billie Eilish. Hit Me Hard And Soft. Universal.
Live: 6. Juni 2025, Stadthalle Wien.

© AP / William Drumm