Es gibt Tage, an denen möchte man nicht schreiben. Der 16. April 2019 war so ein Tag. Die erste Meldung lautete damals: „Extrembergsteiger Lama angeblich in Kanada von Lawine verschüttet. Auch Kletterer Auer offenbar (…) erfasst.“ Bald war es traurige Gewissheit: Zwei der größten Alpinisten ihrer Zeit, die beiden Tiroler Hansjörg Auer und David Lama, waren gemeinsam mit dem US-Bergsteiger Jess Roskelley am Howse Peak in den Rocky Mountains von einer Lawine erwischt worden. Alle drei kamen ums Leben. Auf der später gefundenen Kamera befand sich ein Foto, das die drei Bergsteiger zufrieden lächelnd auf dem Gipfel zeigt.
Am Montag, dem 29. April, zeigt ServusTV die Wiederholung der „Bergwelten“-Hommage „Den Himmel erklommen“ von Hans-Peter Stauber, in der Roskelleys Vater John das Filmteam an den Schauplatz des tödlichen Lawinenunglücks in den Rocky Mountains führt. Neu aufgenommen hat man beim Sender die Beisetzung in Nepal, denn am fünften Todestag der drei gaben Lamas Eltern, die Österreicherin Claudia und der Nepalese Rinzi, Einblick in Lamas letzte Ruhestätte am Fox Peak. Sein Osttiroler Seilpartner Peter Ortner, Reinhold Scherer und Lamas Freundin Hadley Hammer und andere haben die Asche auf dem Gipfel beigesetzt – wie es in der Sherpa-Kultur in Nepal üblich ist. Den Berg in der Everest-Region bestieg Lama aus Akklimatisationszwecken, nur wenige Kilometer weiter steht der Lunag Ri. Er bestieg diese windumtoste Himmelszacke im Jahr 2018 – als erster Mensch. Und im Alleingang. Zweimal war er zuvor gescheitert, bei einem Versuch hatte sein Seilpartner Conrad Anker sogar einen Herzinfarkt. Aber David Lama war nie ein Typ, der aufgab. Daher kämpfte er sich in einem späteren Versuch auf den 6895 Meter hohen Berg in Nepal.
Dass ihr Tun lebensgefährlich ist, das wussten Auer und Lama, die mehrmals gemeinsame Sache gemacht hatten: Sie versuchten sich am „unmöglichen Berg“, der 3500 Meter hohen Nordostwand des Masherbrum (7821 m), wie am Südostgrat der Annapurna III (7555 m) in Nepal. Der Südostgrat, eines der letzten „Probleme“ im Himalaya, wurde einige Jahre später von einer ukrainischen Mannschaft um Mikhail Fomin erstbestiegen. Lama kam aus dem Wettkampfklettern, wo er viele Siege errang, wurde ganz früh von Alpin-Legende Peter Habeler entdeckt und übertrug das hohe Kletterkönnen in die alpinen Wände. „Dadurch, dass man den Gefahren ausgesetzt ist und sich das bewusst macht, setzt man sich sehr mit sich selbst auseinander“, sagte Lama einmal gegenüber der Kleinen Zeitung. Alle Gefühle würden sich dadurch viel stärker verdichten. Es gab also keinen Weg vorbei am Risiko. Hansjörg Auer war darin ein Meister. Der Ötztaler wurde durch sein Free Solo, also ohne Seilsicherung, der Route „Weg durch den Fisch“ an der Marmolata berühmt. „Bei einem ‚Free Solo‘ gibt es gegenüber den Angehörigen keine Rechtfertigung. Es ist so, als würde man seine Angehörigen oder die Freundin immer mit einer Nadel stupfen“, sagte Auer zu uns.
„Wahrscheinlich können das drei Leute auf der ganzen Welt“, erklärt Georg „Joe“ Bachler, Obmann der Paul-Preuss-Gesellschaft und selbst einer der ganz großen (und stillen) Alpinisten. Aus diesem Grund wurde Auer 2016 auch der Paul-Preuss-Preis verliehen, den bisher Alpinisten wie Reinhold Messner, Alexander Huber, Thomas Huber oder Hanspeter Eisendle für ihr Lebenswerk erhalten haben. „Den Fisch wagt keiner solo. Auer war einfach eine Leuchtfigur außergewöhnlicher Ordnung. Und gleichzeitig hatte er diese Bescheidenheit und grundlegende Natürlichkeit. Keiner kletterte wie er.“ Auer und Lama, so Bachler, waren die Spitze der Spitze. Aber es gehe nicht darum, Aktionen wie ein Free Solo heroisch darzustellen: „Es geht um sauberen, ethischen und ehrlichen Alpinismus.“ Beide haben das gelebt. „Lama war liebenswürdig, sympathisch und ein Wahnsinnsklettertalent. Auch unglaublich kühn.“ Was die beiden taten, war kein Erklimmen des Mount Everest mit Flaschensauerstoff, keine Großglockner-Besteigung und auch nicht die Eiger-Nordwand, es war „die höchste Form des alpinistischen Könnens“.