33 Jahre liegen zwischen der berüchtigten Fatwa des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Chomeini gegen Salman Rushdie und einem beinahe tödlichen Attentat auf den Schriftsteller. Am 12. August 2022 stach ein 24 Jahre alter Mann bei einer Veranstaltung in den USA auf den Autor ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Der heute 76-Jährige überlebte, verlor aber sein rechtes Auge und erlitt weitere schwere Verletzungen. All das hat er nun literarisch verarbeitet.
Am heutigen Dienstag erscheint das Buch „Knife - Gedanken nach einem Mordversuch“, in dem Rushdie über das Attentat und dessen Folgen schreibt. Auf 255 Seiten berichtet der aus Indien stammende britisch-amerikanische Meistererzähler, der mit seinem Roman „Mitternachtskinder“ 1981 berühmt wurde und dessen Buch „Die Satanischen Verse“ ihm 1989 den Mordaufruf des Ayatollahs einbrachte, weitgehend chronologisch über die Tat und seinen Heilungsprozess sowie die Menschen, die ihm auf diesem Weg geholfen haben.
Angriff erschüttert, aber nicht gebrochen
Er gewährt tiefe Einblicke in sein Privatleben, seine Verhältnisse, seine Familie. Der sonst durchaus streitlustige Rushdie zeigt sich von seiner verletzlichen Seite. Eines wird ganz deutlich: Der Angriff auf sein Leben, so viele Jahre nachdem er sich bereits als sicher gewähnt hatte, hat ihn zutiefst erschüttert - aber nicht gebrochen.
Auch dem Attentäter widmet er ein ganzes Kapitel, allerdings nennt er ihn nicht beim Namen, sondern lässt ihn nur als A. (kurz für Arschloch) in Erscheinung treten. Rushdie zeigt sich geradezu enttäuscht über die dürftige Begründung, die der Mann für die Tat anführte, sein Opfer sei ein „unredlicher Mensch“. Beinahe gekränkt wirkt er, dass der auf seinen Prozess wartende Attentäter in seinen Werken allenfalls geblättert hat und kaum etwas über ihn zu wissen scheint. Rushdie lässt sich mit A. auf einen fiktiven Dialog ein, in dem er dessen wohl islamistisches Motiv ergründen und argumentativ entkräften will.
„Knife“, obschon kein fiktiver Stoff, liest sich wie ein typischer Rushdie-Roman, nur dass es dieses Mal der in Bombay (heute Mumbai) geborene Schriftsteller selbst ist, der in eine magisch-realistische Welt eintaucht, sich in eine mit geradezu übernatürlichen Kräften ausgestattete Schönheit – die US-Dichterin Rachel Eliza Griffiths – verliebt und mit bösen, kleingeistigen Mächten ringt. Selbst das Messer kommt zu Wort: „Ich habe auf dich gewartet. Siehst du mich? Ich bin gleich vor deinen Augen, versenke meine Attentäterschärfe in deinen Hals. Spürst du‘s?“ lässt er es flüstern.
Schmerzhafte Erinnerungen aus der Vergangenheit
Der erste Blick in den Spiegel in das von den Messerstichen entstellte Gesicht wird zur Reise in eine Kindheit, die von der leidvollen Erfahrung mit einem alkoholkranken Vater gekennzeichnet ist. „Wer bist du?, fragt er die Gestalt im Spiegel. Sind wir uns schon mal begegnet?“ Dann wird er hineingezogen in eine Parallelwelt, in der schemenhaft Erinnerungen aus der Vergangenheit aufleuchten.
Die Rückkehr ins Leben ist mühsam. Doch Rushdie berichtet von kleinen Fortschritten und Rückschritten in seinem Genesungsprozess humorvoll, wie nur Rushdie es kann. Etwa, wenn er erzählt, wie ihm ein Blasenkatheter gelegt wird: „Es hörte sich an, als würde mein Penis um Gnade winseln.“
Das Buch ist aber auch eine Selbstreflexion darüber, wer Salman Rushdie ist. Die Antwort darauf ist, dass es zumindest in der Öffentlichkeit mehrere Versionen von ihm gibt. So gebe es einen „arroganten, egoistischen Rushdie“, der sich mit den „Satanischen Versen“ selbst verschuldet in Gefahr begeben habe, so zumindest nach Ansicht der britischen Boulevardpresse. Er selbst weist das von sich. Dann gebe es einen „Partylöwen“, der trotz Morddrohungen angeblich keinen Cocktail-Event ausließ. Auch dieser sei von der Presse erfunden. Schließlich sei da noch die Ikone der Meinungsfreiheit Rushdie, die vor allem seit dem Attentat in aller Welt gefeiert wird.
Er selbst möchte sich am liebsten an seinem literarischen Gesamtwerk gemessen sehen, räumt aber ein, dass diese Hoffnung mit dem Attentat einen deutlichen Dämpfer erhalten hat. „Falls das Schicksal mich in eine Art tugendsame, freiheitsliebende Barbiepuppe verwandelt hat, in einen Rushdie der Meinungsfreiheit, dann will ich dieses Schicksal annehmen“, resümiert er.