Sie nennen sich „Diagonale-Natives“: Die neue Doppel-Intendanz Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh kennt das Festival des österreichischen Films seit der Premiere 1998 in Graz; damals noch als Studierende. Für die erste Ausgabe von 4. bis 9. April haben sie einiges an der Festivalarchitektur geändert – wie die Verlegung der Diagonale-Eröffnung in der List-Halle von Dienstag auf Donnerstag. Im temporär größten Kinosaal des Landes ist dann Ruth Beckermanns Berlinale-Film „Favoriten“ erstmals in Österreich zu sehen. Die Dokumentaristin und Diagonale-Stammgästin porträtiert eine Volksschul-Klasse im zehnten Wiener Gemeindebezirk, ihre engagierte Lehrerin sowie 25 Schülerinnen und Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. „So politisch dieser Film ist, so unmittelbar wirkt er auf uns: Favoriten ist keine Kopfsache, sondern eine Herzensangelegenheit“, erklären Slanar und Kamalzadeh

195 Filmproduktionen stehen auf dem Programm, 84 davon als Österreich- oder als Weltpremiere, 123 Filme laufen im Wettbewerb. Auf dem Spielfilmsektor kann das Leitungsduo aus dem Vollen schöpfen, denn die heimische Präsenz auf internationalen Festivals war zuletzt enorm. „Veni Vidi Vici“, die bissige Finanzsatire aus der Welt der Superreichen von Julia Niemann und Daniel Hoesl kommt nach der Uraufführung beim renommierten Sundance Film Festival und einer Europa-Premiere in Rotterdam nun nach Graz. Das außergewöhnliche Biopic „Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz wurde auf der Berlinale gefeiert, die in bestem Sinne eigentümliche Filmbiografie von Maria Lassnig feiert kurz vor dem Kinostart noch seine Österreich-Premiere in Anwesenheit von Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr und Co. Ebenso auf Besuch sind die Schauspiel-Stars Caroline Peters und Proschat Madani, die in Kat Rohrers Liebeskomödie „What a Feeling“ Slapstick-, Gesangs- und Tanzeinlagen abliefern. Uraufgeführt werden die Indie-Kunstsatire „Asche“ von Elena Wolff, der überspannte Psychothriller „Im Haus der alten Augustin“ von Gerald Pribek und die Fördersatire „Sparschwein“ von Christoph Schwarz. Dominik Kamalzadeh ortet einen kleinen Trend zum Satirischen und Grotesken als Antwort auf die Gegenwart. Fast möchte man sagen: typisch, Österreich!

Care-Arbeit im Fokus

Im Dokumentarfilmsektor indes fokussieren gleich mehrere Produktionen auf die Themen Care-Arbeit und Pflege wie unter anderem „24 Stunden“ von Harald Friedl, das einfühlsame Porträt „Mâine Mă Duc - Tomorrow I Leave“ von Maria Lisa Pichler und Lukas Schöffel oder „Die guten Jahre“ von Reiner Riedler, der einen langjährigen Freund begleitet, der seine an Demenz erkrankte Mutter pflegt. Weitere Schwerpunkte im Doku-Bereich: Rollenzuschreibungen, Familienverhältnisse und neue Perspektiven auf die Regielegende Georg Wilhelm Pabst in „Pandoras Vermächtnis“ von Angela Christlieb.

Insgesamt setzt das Intendanten-Duo stärker auf einen internationalen Kontext. Sie haben eine Werkschau zum deutschen Regisseur Christoph Hochhäusler kuratiert, der auch die deutsche Filmzeitschrift „Revolver“ gründete und dessen Filme Genre und politische Brisanz verknüpfen. „Er verbindet Intellekt und Gefühl“ in seinen Filmen, schwärmte Kamalzadeh. Nebst Hochhäusler kommt auch Kamera-Legende Jürgen Jürges nach Graz, der unter anderem für das Bild zu „Code Inconnu“ von Michael Haneke und „Eisenhand“ von Tankred Dorst verantwortlich war. Eine weitere Position – so der neue Name der früheren Personale – befasst sich mit der heimischen Filmemacherin und Fotografin Lisl Ponger. Neueste Arbeiten der Künstlerin sind im Schaumbad, mit dem die Diagonale erstmals kooperiert, zu sehen.

Perlen zum Wiederentdecken

Im filmhistorischen Programm „Die erste Schicht“ widmet sich das Festival Arbeiten aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei, die in den 1960er- und 1970er-Jahren Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen begleitet haben. Dazu wird der vertiefende Textband Diagonale Edition erscheinen. Unter dem Titel „Filmgeschichte“ zu sehen: drei Fassungen von 1931, 1951 und 1958 des Stoffs „Mädchen in Uniform“.

Und ein Wiedersehen gibt es in einem Spezialscreening mit Michael Glawoggers (1959–2014) „verschollener“ Pilotfolge zur TV-Sitcom „LKH“. Dem Erinnerungsabend des vor zehn Jahren verstorbenen Regisseurs wohnen u.a. Verbündete wie Pia Hierzegger, Michael Ostrowski oder Helmut Köpping bei.

Die Branche trifft sich im neuen „Debattenzentrum“ und „Veranstaltungszentrum“ im Heimatsaal des Volkskundemuseums. Die Themen, die beim Filmmeeting am Programm stehen, sind: Künstliche Intelligenz, Arbeitsbedingungen, Diversität, Antirassismus in der Filmbranche.