Andere Kultur, andere Befindlichlkeit, anderes Tempo, andere Küche: Städtereisende sind gewohnt, üppig Programm in wenige Tage zu schlichten. Wenigstens weiß man üblicherweise, was einen so erwartet: Kolosseum, Wachsmuseum, Fado, Fischplatte, die Ziele sind ja meistens keine unbekannten.

Oder man tauscht Over- gegen Undertourism und fährt in Städte wie Kaunas, Ostrava, Cluj, Bastogne, Valkenburg. Mitglieder des Grazer Theaters im Bahnhof (TiB) haben das gemacht, zwecks Recherche für eine Theatertrilogie mit dem zweckdienlichen Titel „Blind Date Europa“. Ziel der insgesamt 14 Reisen in ost-, mittel- und westeuropäische Städte war die Frage nach dem Zustand des Projekts EU – pünktlich zu einem Wahljahr, das für die friedliche Zukunft des Kontinents bestimmend werden könnte.

Per Crossmapping zum Reiseziel

Europa, lautet der vorab erstellte TiB-Befund, habe „seinen Glanz verloren“, sei heute zerstritten, langweilig, ein bisschen peinlich. Anfang des Jahres machte sich das Team also auf die Suche nach einem „europäischen Gedanken, eine Gemeinsamkeit, die über die internationalen Handelsketten hinausgeht“ – mithilfe eines leicht exzentrischen Verfahrens, das das eigene Lebensumfeld mit dem großen Ganzen verflocht. Soll heißen: Die Reiseziele in ein unbekanntes Europa wurden via Crossmapping ausgewählt: Dafür wurden Grazer Liniennetzplan und Europakarte übereinandergelegt. Tram- und Busstationen vor der eigenen Haustür mutierten dabei zu „Haltestellen“ etwa in Kassel und Cherbourg, Wrocław und Vadehavet. Dorthin wurde folgerichtig auch vorzugsweise per Öffis gereist.

Hexen und Arbeiterhelden

Im tschechischen Ostrava fielen Regisseurin Monika Klengel die vielen Arbeiterhelden-Denkmäler der einstigen Industriestadt ins Auge, in einem Stuttgarter Kino erfuhr Bühnenbildnerin Johanna Hierzegger die bestürzende Geschichte der DDR-Punk-Legende „Otze“ Ehrlich und seiner Band Schleimkeim. Schauspielerin Elisabeth Holzmeister befasste sich mit der Hexenverfolgung im dänischen Ribe, Heike Barnard mit der Erinnerungskultur in der ehemaligen KZ-Stadt Kaunas. Martina Zinner lernte in Erfurt den Blaudruck mit Färberwaid.

Und los: 14 Städte in West-, Mittel- und Osteuropa waren das Ziel der Recherchen
Und los: 14 Städte in West-, Mittel- und Osteuropa waren das Ziel der Recherchen © Helene Thümmel

Alle Recherchergebnisse wurden unlängst am Grazer Bahnhof erstpräsentiert. Wie sie sich zusammenfügen lassen, wird sich zeigen – das mitgebrachte Material wird jedenfalls in drei Theaterabende verarbeitet: Letzlich soll die „Europa-Trilogie“ ein „europäisches Panorama der persönlichen wie politischen Einzelstimmen“ ergeben und, avisiert das TiB, „vielleicht die Frage beantworten: Können wir noch miteinander?“

Ed. Hauswirth, Johanna Hierzegger, Monika Klengel und Helmut Köpping leiten das Großprojekt gemeinsam, Teil 1, „Blind Date Ost: Wer soll das bezahlen?“ hat am 12. April Premiere. Am 26. April folgt „Blind Date Mitte: Sind wir noch zusammen?“, am 10. Mai dann „Blind Date West: Das Wasser steigt“. Wer die ganze Trilogie am Stück sehen will, sollte sich den 2. Juni vormerken.
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