Die 96. Oscar-Verleihung im Dolby Theatre in Los Angeles geht als eine an Überraschungen ärmsten Shows in die Geschichte der Academy Awards ein: Der große Favorit „Oppenheimer“ von Christopher Nolan setzte sich am Ende wie erwartet (und von uns getippt) durch und räumte sieben Oscars ab, gefolgt von Yorgos Lanthimos‘ Frankenstein-Fabel „Poor Things“ mit vier Statuetten und Jonathan Glazers Holocaust-Paraphrase„The Zone of Interest“ mit zwei Auszeichnungen. Nur Martin Scorseses zehnfach nominiertes Epos „Killers of the Flower Moon“ blieb gänzlich unvergoldet. Kurz: Gewonnen haben die, von denen man es erwartet hatte.
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In den Schauspiel-Kategorien reüssierte Hauptdarsteller Cillian Murphy in „Oppenheimer“; es ist sein erster Goldbub und er widmete ihn „allen Friedensstiftern“ der Welt. Wie für Hollywood-Veteran Robert Downey Jr., der im Biopic über den Vater der Atombombe für die Verkörperung von Lewis Strauss in „Oppenheimer“ als bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde.
In seiner launigen Dankesrede sagte er u. a.: „Ich danke meiner furchtbaren Kindheit und der Academy – in dieser Reihenfolge. Und natürlich meiner Tierärztin, ich meine: meiner Frau Susan. Sie hat mich gefunden und gerettet.“ Die Siege in den Sparten Schnitt, Kamera und Filmmusik komplettierten den siebenfachen Triumph des dreistündigen Films über den „Vater der Atombombe“.
Die große Komödiantin Emma Stone holte sich nach „La La Land“ ihren zweiten Oscar für ihre umwerfende Verkörperung von Bella Baxter in „Poor Things“ ab. Sie kam im zerrissenen Kleid (vor lauter Tanzen zu Ryan Goslings Performance zu „I‘m Just Ken“). Schauspielerin Da‘Vine Joy Randolphs („The Holdovers“) Durchmarsch in der Award-Saison hielt ebenso. Sie wurde als beste Nebendarstellerin gleich ganz zu Beginn der Gala ausgezeichnet.
Ansonsten blieb das Feld der Preisträger breit gestreut. Einzig die britische Produktion „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer holte noch mehr als eine Ehrung. Der auf Deutsch gedrehte, experimentelle Holocaust-Film gewann den Oscar für den besten internationalen Film und für den besten Ton, schildert Glazer doch den Alltag von Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß und seiner Familie, die direkt neben dem KZ leben, das ausschließlich über die Tonspur präsent ist. Er wurde politisch, als er den Oscar entgegennahm: „All unsere Überlegungen gingen in die Richtung, uns im Heute anzusprechen, nicht zu sagen: ‚Schau, was die früher gemacht haben’“, sagte er. Und: „Unser Film zeigt, wohin Entmenschlichung im schlimmsten Fall führen kann.“ Dann wurde es noch expliziter: „Ob es die Opfer des 7. Oktober in Israel oder der andauernden Attacke auf Gaza sind, alle sind Opfer dieser Entmenschlichung.“
Die schönsten Looks der Vanity-Fair-Oscar-Party:
Oscar für die Midlife-Crisis
Der Preis für das beste Drehbuch ging an das französische Duo Justine Triet und Arthur Harari für „Anatomie eines Falls“. Die Autorin und Regisseurin des phänomenalen Gerichtsdramas mit Sandra Hüller bedankte sich eher unkonventionell mit: „Das wird mir helfen, meine Midlife-Crisis zu bewältigen.“ Für die Satire „Amerikanische Fiktion“ (auf Prime) ausgezeichnet wurde Cord Jefferson mit dem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch. „Anstatt einen 200-Millionen-Dollar-Film zu machen, versucht doch zwanzig 10-Millionen-Dollar-Filme zu machen oder 50 um 4 Millionen Dollar. Wir sollten den Leuten Möglichkeiten geben. Die nächsten Greta Gerwigs, Christopher Nolans und Martin Scorseses sind da draußen“, sagte er in seiner Dankesrede.
Auch der Kassenhit des vergangenen Kinojahres, Greta Gerwigs feministische Persiflage „Barbie“, ging am Ende mit nur einer Auszeichnung nach Hause. Von acht Nominierungen konnte sich einzig Billie Eilish mit dem Originalsong „What Was I Made For?“ durchsetzen – auch wenn der ebenfalls nominierte Ryan Gosling mit seiner Performance zum Barbie-Song „I‘m Just Ken“ das altehrwürdige Dolby Theatre von den Sitzen riss.
Mstyslaw Tschernow erhielt den Oscar für seinen Dokumentarfilm „20 Tage in Mariupol“, der ein Team von Journalistinnen und Journalisten begleitet. „Das ist der erste Oscar in der Geschichte der Ukraine. Ich fühle mich geehrt. Aber ich bin auch der erste Regisseur auf dieser Bühne, der sagt: Ich wünschte, ich hätte diesen Film nie gemacht. Ich wünschte, ich könnte all das eintauschen dagegen, dass Russland uns nie angegriffen hätte, nicht Zehntausende Ukrainer getötet hätte. Ich wünschte mir, dass alle Gefangenen freigelassen werden. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Aber gemeinsam können wir dafür sorgen, dass die Dinge wieder zurechtgerückt werden und die Wahrheit obsiegt. Kino formt Erinnerung und Erinnerung formt die Geschichte.“
Es war einer der wenigen politischen Momente dieser Oscar-Nacht. Moderator Jimmy Kimmel lieferte eine launige Show ab. Er gab vor, eine vernichtende Kritik via Message vom neuerlichen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump bekommen zu haben, die er mit den Worten „Ist es nicht Zeit fürs Gefängnis?“ quittierte.