Wo beginnen bei diesem begriffs- und genresprengenden Ereignis, das viel mehr war als nur ein Konzert? Nämlich: Performance, Show, Revue, Pop-Feier, Disco-Fest; ein Fest für Augen, Ohren, Hirn und Herz, das zu einem schillernden Gesamtkunstwerk verschmilzt. Und wo beginnen bei einer Künstlerin, die sich wehrhaft weigert, sich etikettieren und schubladisieren zu lassen? Róisín Murphy ist buchstäblich unfassbar, Cross-over auf allen Ebenen; sie liefert experimentelle Avantgarde, glanzvollen Pop, brodelnden Dance, beseelten Soul, flirrende Electro-Beats. Das ist weird, arty, nerdig, aber dennoch nicht abgehoben artifiziell und Welten von der geruchsfreien, hysterisch gehypten Pop-Plastikwelt von Swift, Cyrus, Styles & Co. entfernt.
Im Kostüm eines Zottelbären betrat Murphy die Bühne im rappelvollen Grazer Orpheum, hinter ihr eine fünfköpfige Band, die ihr kompetent und kompakt während des zweistündigen Auftritts den Rücken stärkte. Und was ob all des optischen Zaubers oft übersehen bzw. überhört wird: Murphy hat eine gewaltige (Soul-)Stimme, die locker zwischen Schmelz und Power pendelt. Die Kostümwechsel sind nicht so exaltiert wie in früheren Programmen. Die Irin, die Mitte der 90er-Jahre mit dem Elektro-Duo Moloko ihre Karriere startete, zeigt sich als Businesslady, Zylinder-Dame, Schleierfrau, dann wieder baumelt eine Babypuppe an ihr. Schrill, schräg, schrankenlos. Aber nie ist das nur billige Maskerade, die Outfits korrespondieren mit den Texten und der Stimmung der Songs.
Songs aus ihren mittlerweile sechs Solo-Alben, vor allem aus dem hochgelobten letzten Werk „Hit Parade“, stehen im Mittelpunkt: „Simulation“, „Overpowered“, „Incapable“, „Something More“. Die Version des Moloko-Haderns „The Time is Now“ gerät zu grandiosen, fetzigen Dekonstruktion, als Grande Finale gibts noch „Forever More“. Obwohl sie sich nie anbiedert und zu lauen Zwischenansagen hinreißen lässt, besteht ein nahezu intimer Kontakt zum – mitsingsicheren – Publikum. Róisín Murphy ist ein herrlich durchgeknallter Derwisch zwischen Fun und Furiosum. Es regnet Rosenblätter, Menschen werden herzlich umarmt, Murphy beherrscht auch die Balance zwischen divenhafter Distanz und Nahbarkeit. Zwischendurch: Ein Winden, Wälzen, Kreischen, Kriechen; ein gespenstisch-fantasievolles Spiel mit der Kamera; nie ist man als Zuschauer auf sicherem Boden, aber immer gut aufgehoben als Teil einer grandiosen Inszenierung, die das Schrille nicht zur Kasperliade degradiert.
Wo enden? Vielleicht damit: Róisín Murphy zelebriert und praktiziert Selbstermächtigung. Sie ist das, was sie gerade sein möchte. Und genauso klingt ihre Musik, auf höchstem Niveau unberechenbar und grenzenlos. Das Publikum bestätigte das mit Begeisterungsstürmen.