Schläge ins Gesicht, Tritte in den Bauch, Griffe unter den Rock oder die Aufforderung zum Oralsex für die Vertragsverlängerung: Die Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Übergriffen, die Betroffene in der NDR-Doku „Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film“ berichteten, rütteln die Kulturbranche auf. Wieder einmal. Wie berichtet, recherchierten die Investigativjournalistinnen Zita Zengerling und Kira Gantner drei Jahre lang, sie kontaktierten mehr als 200 Betroffene, Verantwortliche sowie Zeuginnen und Zeugen, holten sich eidesstattliche Erklärungen ein und belegen – verdichtet in 60 Minuten – ein System.
Eines, das die strukturellen Probleme einer Branche mit sexualisierter Gewalt und Übergriffen offenbart. Eines, das die Spezifika der Branche – prekäre Arbeitssituationen, kleine Branche mitsamt einer Szene, die auf Empfehlungen basiert, zeigt. Schwere Vorwürfe erhebt die Doku, die in der ARD-Mediathek zu sehen ist und am 11. März ausgestrahlt wird u.a. gegen den Theatermacher Paulus Manker, der schon öfter die Schlagzeilen dominierte, sowie den vielfach preisgekrönten Drehbuchautor und Regisseur Julian Pölsler, bekannt für Kinofilme wie „Die Wand“, die „Altaussee“ sowie „Polt“-Krimis.
Schauspieler Cornelius Obonya, der in Teil eins und zwei des „Altaussee-Krimis“ mitwirkte, sagte zur Kleinen Zeitung: „Ich kann die Aussagen von Lisa-Lena Tritscher in der Doku bestätigen, da ich dabei war. Ich erkannte auch sofort, dass es sich um einen verbal-psychischen Übergriff handelte, weil mir das auch einmal in jungen Jahren von einer Frau passiert ist.“ Tritscher berichtete von „traumatisierenden Erfahrungen“. Und: „Es war ein Fertigmachen, es war laut, es war aggressiv.“ Obonya sehe es als seine Pflicht an, hinzuschauen. „Speziell junge Frauen mit attraktivem Äußeren sind gefährdet“, sagt er.
Den Schauspieler und Kabarettisten Erwin Steinhauer erwischten wir Mittwochfrüh am Telefon. „Ich habe seit Jahren auf diesen Tag gewartet“, sagt der „Polt“-Darsteller.
Auf den Tag, an dem der Name genannt wird, der seit Jahrzehnten innerhalb der Branche ein offenes Geheimnis ist. Betroffene berichten von Castings oder Aktionen, bei denen Pölsler den Kopf von Darstellerinnen in seinen Schritt gedrückt habe, von Übernachtungseinladungen und Annäherungsversuchen in einer Villa und Begrapschen im Bademantel. „Da ich bei sexualisierten Übergriffen nicht dabei war, kann ich nicht direkt darauf antworten“, sagt Steinhauer. Einige Kolleginnen hätten sich ihm anvertraut. Denn: „So umgänglich Julian Pölsler im Privaten ist, so anders ist er, wenn er dreht. Er gehört zu jenen Kollegen, die nicht kapiert haben, dass die Arbeitsverhältnisse im Film und am Theater an bestimmte Regeln gebunden sind: an Respekt.“
Sein Appell: „Mehr Frauen müssen den Mut haben, sich zu wehren. Ich unterstütze jede Frau dabei, wir Männer müssen an ihrer Seite sein. Vor allem den Jungen muss man sagen: Ihr müsst nichts über euch ergehen lassen. Man muss nicht alles für diesen Beruf hinnehmen.“ Das bestätigt auch Gerda Müller, Vizerektorin an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien: „Man schützt Studierende, indem man das Thema bespricht und konsequent mit Studierenden, Lehrenden und Führungskräften an respektvollen, wertschätzenden Bedingungen im Unterricht, auf der Bühne und vor der Kamera arbeitet. Professionelle Beziehungsgestaltung ist dabei wesentlich. Sie legt den Grundstein für das zukünftige Arbeiten im Kulturbetrieb. Entscheidend sind darüber hinaus klare arbeitsrechtliche Schritte im Fall von Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch.“
Diese Erkenntnis ist eine Errungenschaft aus den Enthüllungen gegen den früheren Hollywood-Mogul Harvey Weinstein und der folgenden weltweiten, branchenübergreifenden #MeToo-Debatte. Die junge Schauspielerin Luna Jordan erhielt 2022 den Österreichischen Filmpreis für „Fuchs im Bau.“ Bei ihrer Dankesrede brach sie ihr Schweigen: „Ich bin gerade einmal 20 Jahre alt, und ich bin bereits viermal Opfer von sexuellem Missbrauch an Filmsets und Theatern geworden. Das sollte nicht normal sein, ist es aber.“ Im November zog der Verein vera* nach einem Jahr Bestehen Bilanz: 90 Fälle behandle die Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch, Belästigung und Gewalt im Kunst- und Kulturbereich hierzulande. 75 Prozent der Fälle beträfen Frauen. „Es gibt rund um den Täter ein System, das die Taten begünstigend mitträgt“, sagt Verena Altenberger, Schauspielerin und Co-Präsidentin der Akademie des österreichischen Films in der Doku.
Keine Frage, die Branche ist im Umbruch, Verbesserungen sind spürbar. „Wir tolerieren das nicht mehr“, sagt Roland Teichmann, Leiter des Österreichischen Filminstituts (ÖFI). „Es ist wichtig, dass wir nicht kurz betroffen sind und wieder zur Tagesordnung übergehen. Das Schweigen muss aufhören.“ An Filmsets gilt ein Code of Ethics, bei dem sich alle Mitwirkenden auf einen respektvollen und wertschätzenden Umgang einigen; zudem Schutzkonzepte und Vertrauenspersonen am Set. Ausfallsentschädigungen infolge von Drehstopps durch Übergriffe sind ein Thema. Dass darüber geredet werde, bewirke schon etwas.
Pölsler erhielt zuletzt für den 2017 veröffentlichten Film „Wir töten Stella“ eine Förderung des ÖFI, der ORF beschäftigt ihn nicht mehr. Bei ServusTV hält man an ihm fest: „Wir gehen mit derartigen Vorwürfen grundsätzlich respektvoll und sorgfältig gegenüber allen Beteiligten um. Wir halten es aber für problematisch, jemanden ohne rechtlich bzw. strafrechtlich relevante Fakten, sondern allein aufgrund der subjektiven Auslegung der Sendungsgestalter ‚Es bleibt ein Verdacht‘ öffentlich an den Pranger zu stellen“, hieß es auf Nachfrage. Sein sechster Krimi könnte noch heuer gedreht werden. Pölsler war für eine Stellungnahme nicht erreichbar, sein Anwalt wies in der Doku alle Vorwürfe zurück.