In der Branche sind die Namen oftmals ein offenes Geheimnis. Die Investigativ-Journalistinnen Zita Zengerling und Kira Gantner haben sich gefragt, warum gerade die Branchen Film und Theater so prädestiniert sind für sexualisierte Gewalt und Übergriffe. Für ihre NDR-Doku „Gegen das Schweigen“ sprachen sie mit mehr als 200 Menschen. In einigen Fällen haben sich die Autorinnen entschieden, die Namen der mutmaßlichen Täter zu nennen. Ein großer Teil der heute online gegangenen Sendung thematisiert #MeToo-Fälle in Österreich.
Immer wieder, berichten die beiden, sei ein Name gefallen: Julian Pölsler. Ein vielfach ausgezeichneter und seit Jahrzehnten für Film und Fernsehen tätiger Regisseur („Die Wand“, „Polt“-Krimis, „Altausseer“-Krimis, „Wir töten Stella“). Schauspieler Clemens Berndorff berichtet von ihm als Dozenten am Konservatorium der Stadt Wien, wie er „ganz cool“ in Lederjacke und Motorrad zum Unterricht erschien. Einige Kolleginnen und Kollegen hätten Berndorff darauf angeredet, wie Pölsler sie anschauen würde. Berndorff schaute hin und notierte ein „Abscannen von oben nach unten“. Dabei soll es nicht geblieben sein. Schauspielerin Stefanie Speiser erinnerte sich an nicht „eingehaltene Abstände und Berührungen“. Also an klare Grenzüberschreitungen. Dokumentiert seien zig solcher Grenzüberschreitungen vor allem an Anfang der Karriere von jungen Schauspielerinnen.
Die Editorin Alexandra Löwy, mit der der Regisseur bei „Geliebter Johann: Geliebte Anna“ zusammenarbeitete, erinnerte sich: Pölsler wollte, dass sie in einer angemieteten Villa mit ihm wohnte. Auch Presse-Expertin Valerie Besl sagt: „Spät nach den Dreharbeiten kam er in die Villa; nur im Bademantel. Er setzte sich zu mir aufs Sofa, machte mir Avancen, legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich wollte mich elegant aus der Affäre ziehen und bin auf mein Zimmer gegangen. Ich dachte mir: Blöd gelaufen, lassen wir es gut sein.“ Bis Pölsler begonnen habe, sie beruflich zu diskreditieren.
Solche und ähnliche Aussagen liegen der NDR-Redaktion zuhauf vor. Auch später bei Dreharbeiten sei es zu verbal-übergriffigem Verhalten gekommen: „Es war keine sachliche, konstruktive Kritik“, sagt Schauspielerin Lisa-Lena Tritscher. Bekannt und dokumentiert sind auch Casting-Situationen, bei denen sich junge Miminnen vor dem Filmemacher ausziehen mussten. Eine erzählt: Sie zog sich aus, dann sagte er zu ihr, sie sei ohnehin zu jung für die Rolle gewesen.
Eine andere Szene habe der NDR auf Video, könne es aus juristischen Gründen aber nicht zeigen, wird in dem Film gesagt: Bei einem Casting wurde die Szene eines sexuellen Übergriffs durchgenommen. Julian Pölsler fasste einer Protagonistin mehrfach unter den Rock; angeblich zur Verdeutlichung für die Täter-Rolle. Als sie sich wehrte, sagte er ihr, das sei nicht ihre Rolle. Sie solle es geschehen lassen. Aber: Er führte die Gewaltszene mit jeder weiteren Darstellerin aufs Neue vor. „Warum?“, fragt eine Betroffene. „Und warum muss er noch eine junge Schauspielerin nehmen, um ihr Gesicht in den Schritt zu drücken?“
Einen weiteren großen Teil der Doku nimmt der Wiener Regisseur Paulus Manker ein. Langjähriges „Enfant Terrible“ und bekannt und berüchtigt für seine cholerischen Wutanfälle. Ein Theatermacher und Schauspieler, der gerne damit kokettiert, dass #MeToo spurlos an ihm vorübergegangen sei – wie ein Ausschnitt von „Willkommen Österreich“ belegt. Seine Ausraster seien „ein Grundton“, sagt jemand. Dazu: Gebrüll, Beleidigungen und Aussagen wie: „Beweg dich, du Fotze!“ Oder: „Du bist ein Mannsweib, das niemand ficken will!“ Nebst solchen Übergriffen sei er bekannt für restriktive Verträge.
„Niemand im Publikum hat reagiert“
„Er schaut mich wütend an und kommt mit hochrotem Kopf auf mich zu. Er kommt auf mich zu vor allen Leuten, holt mit der Faust aus und – volle Kanne aufs Ohr“, berichtet Nikolaus Firmkranz, der u. a. 2006 bei „Alma – die Witwe der 4 Künste“ im Kronprinzenpalais Berlin mitwirkte. „Ich hab dann die Szene abgebrochen, hab heulend meinen besten Freund angerufen. Ich habe nicht geheult, weil es jetzt so sonderlich weh getan hat, sondern weil es einfach extrem erniedrigend war.“ Eine weitere Schauspielerin berichtet, wie Manker sie live bei einer Vorführung in den Bauch trat. Und: „Niemand im Publikum hat reagiert.“ 50 Schauspielende, die mit Manker gearbeitet haben, habe man für diese Doku kontaktiert, so die Gestalterinnen. Nur ein kleiner Teil der Erlebnisse habe es in den 60-Minüter geschafft.
Die Doku „Gegen das Schweigen“ illustriert das Machtgefälle zwischen angesehenen, erfolgreichen Künstlern und oft jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die einen Traum haben. Sie berichtet von einem System steter Machtübergriffe und der dabei entstehenden Ohnmacht der Betroffenen. Entlarvt wird jedoch auch das System der Mittäterinnen und Mittäter hinter einigen prominenten Namen. „Es gibt rund um den Täter ein System, das die Taten begünstigend mitträgt“, sagt Verena Altenberger, Schauspielerin und Präsidentin der Akademie des österreichischen Films. Namen seien nicht egal. „Aber auch wenn Namen draußen sind, ist es nicht automatisch gut“, ist zu hören. Schauspielerin Julia Franz Richter berichtet: „Es war so, dass ich mich nackt ausziehen sollte.“ Als Einzige. Auf der Bühne.
Keine Konsequenzen für die Täter
Ein problematisches System belegt auch das Beispiel von Schauspieler und Regisseur Kida Khodr Ramadan. Der Deutsche wurde 2017 in der Gangster-Serie „4 Blocks“ bekannt. Regie führte der Österreicher Marvin Kren, produziert hat die renommierte deutsche Produktionsfirma Wiedemann & Berg Film. Das Team litt an Ramadans verbalen Übergriffen und Beschimpfungen („Fotze!“). Er hatte z. B. die Maskenbildnerin beschimpft, kam ihr nahe, habe sie beleidigt. „Viele Leute waren dabei; niemand hat etwas gesagt.“ Schon vor der zweiten Staffel waren die Verfehlungen des Hauptdarstellers bekannt. Was passierte? Nichts. Später habe er sich bei der Maskenbildnerin entschuldigt, in einem Podcast eine Pause angekündigt und erklärt, er habe in der Vergangenheit viele Menschen verletzt und würde eine Therapie machen. Die Produktionsfirma gab zu Protokoll, dass ihnen die Sicherheit und das Wohlbefinden des Teams am Herz läge.
Und welche Konsequenzen hatte es für den Täter? Seine Karriere, so eine bittere Erkenntnis des Films, sei nach den bekannt gewordenen Vorwürfen durch die Decke gegangen. Bei der Serie „Asbest“ – von und mit Kida Khodr Ramadan – gab es erneut Vorwürfe. Die Serie der Produktion Pantaleon war ein Auftrag der ARD-Tochter Degeto. Also öffentlich-rechtlicher Rundfunk. 18 Menschen hinter der Kamera haben Jahre später gegenüber der NDR-Redaktion ähnliche Vorwürfe berichtet.